Das Buch der Illusionen
einem Schauspieler das erst einmal gelungen ist, kann er sich fortan alles leisten.
Er war zu groß gewachsen, um einen typischen Clown zu spielen, zu elegant, um wie andere Komiker den naiven Tollpatsch zu mimen. Mit seinen dunklen, ausdrucksstarken Augen und der vornehmen Nase sah Hector wie ein zweitklassiger Hauptdarsteller aus, wie ein übertreibender romantischer Held, der bei den Dreharbeiten zum falschen Film aufgetaucht war. Er war ein Erwachsener, und schon die Anwesenheit einer solchen Person schien den etablierten Regeln der Komödie zuwiderzulaufen. Lustige Männer hatten klein, verwachsen oder fett zu sein. Sie waren Zwerge und Trottel, Einfaltspinsel und Außenseiter, Kinder, die sich als Erwachsene maskierten, oder Erwachsene mit dem geistigen Horizont von Kindern. Man denke an Arbuckles kindliche Pummeligkeit, an seine affektierte Schüchternheit und seine feminin geschminkten Lippen. Man erinnere sich an seinen Zeigefinger, der ihm jedes Mal wenn ein Mädchen ihn ansieht, in den Mund springt. Sodann betrachte man die Liste der Requisiten und Kostüme, auf denen die anerkannten Meister ihre Karriere aufbauten: Chaplins Tramp mit seinen klaffenden Schuhen und den zerlumpten Kleidern; Lloyds tapferer Waschlappen mit seiner Hornbrille; Keatons Gimpel mit seiner Kreissäge und der starren Miene; Langdons Irrer mit der kalkweißen Haut. Sie alle sind Außenseiter, und da diese Figuren uns weder bedrohen noch mit Neid erfüllen können, drücken wir ihnen die Daumen, dass sie über ihre Feinde triumphieren und das Herz der Angebeteten erobern mögen. Nur werden wir stets im Zweifel darüber gelassen, ob sie mit dem Mädchen überhaupt etwas anfangen können, wenn sie dann einmal allein mit ihr sind. Bei Hector kommen uns solche Zweifel nie. Wenn er einer Frau zuzwinkert, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass sie zurückzwinkert. Und wenn sie es tut, ist klar, dass weder sie noch er dabei ans Heiraten denkt.
Jedoch sind Lacher keineswegs garantiert. Hector ist nicht das, was man eine liebenswerte Gestalt nennen würde, und er ist auch niemand, mit dem man unbedingt Mitleid haben muss. Die Sympathie des Zuschauers gewinnt er, weil er niemals weiß, wann er aufhören soll. Immer fleißig und unbeschwert, die perfekte Verkörperung des homme moyen sensuel, gilt von ihm nicht, dass er nicht mit der Welt im Einklang sei; vielmehr ist er ein Opfer der Umstände, ein Mann mit dem unerschöpflichen Talent, in peinliche Situationen zu geraten. Hector hat immer einen Plan, sein Handeln ist stets von einem bestimmten Zweck bestimmt, und doch scheint sich jedes Mal etwas zu ergeben, das ihn an der Verwirklichung seines Ziels hindert. Seine Filme sind voller physikalisch absurder Geschehnisse, bizarrer
Maschinenpannen, voller Gegenstände, die sich einfach nicht so verhalten, wie sie sollten. Ein weniger selbstbewusster Mensch würde sich von solchen Rückschlägen besiegen lassen, doch abgesehen von gelegentlichen Verzweiflungsausbrüchen (die den Monologen des Schnurrbarts vorbehalten sind) klagt Hector nie. Türen zerquetschen ihm die Finger, Bienen stechen ihn in den Hals, Statuen fallen ihm auf die Füße, aber immer und immer wieder schüttelt er diese Missgeschicke ab und setzt seinen Weg fort. Man bewundert schon seine Standhaftigkeit, die geistige Ruhe, die er angesichts all dieser Widrigkeiten ausstrahlt, aber was einen geradezu fesselt, sind seine Bewegungen. Hector vermag den Zuschauer mit jeder seiner tausend verschiedenen Gesten zu bezaubern. Leichtfüßig und flink, nonchalant bis zur Gleichgültigkeit schlängelt er sich durch den Hindernisparcours des Lebens, ohne das geringste Anzeichen von Unbeholfenheit oder Furcht, verblüfft uns mit seinen Rückziehern und Ausweichmanövern, seinen Wendungen und Ausfallschritten, seinen Verzögerungen, Sprüngen und Pirouetten. Man beachte, wie er mit den Fingern spielt und trommelt, wie punktgenau er ausatmet, wie er den Kopf leicht schief legt, wenn etwas Unerwartetes in sein Blickfeld kommt. Diese Miniaturakrobatik ist eine Charakterfunktion, erfreut aber auch durch und für sich selbst. Auch wenn ihm Fliegenpapier an der Schuhsohle klebt und der junge Sohn des Hauses ihn gerade mit einem Lasso gefangen hat (sodass ihm die Arme an den Körper gebunden sind), bewegt sich Hector mit ungewöhnlicher Anmut und Haltung, als hege er keinen Zweifel daran, dass er sich schon bald aus dieser üblen Lage befreien werde - mag auch das nächste Übel bereits im
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