Das Buch der Illusionen
werde mir Mühe geben.
Als Erstes möchte ich wissen, warum Frieda Spelling mir nicht geantwortet hat.
Sie hat auch Ihren zweiten Brief erhalten, aber gerade als sie Ihnen antworten wollte, ist etwas passiert, das sie am Weiterschreiben gehindert hat.
Einen ganzen Monat lang?
Hector ist die Treppe hinuntergefallen. Da im Haus saß Frieda mit dem Stift in der Hand an ihrem Schreibtisch, dort ging Hector zur Treppe. Es ist unheimlich, wie nahe sich diese Ereignisse waren. Frieda schrieb vier Worte - Sehr geehrter Professor Zimmer —, und im selben Augenblick kam Hector zu Fall. Er zog sich eine doppelte Beinfraktur zu. Dazu mehrere Rippenbrüche. Eine schlimme Beule an der Schläfe. Ein Hubschrauber musste ihn von der Ranch abholen und nach Albuquerque ins Krankenhaus bringen. Während der Operation, mit der das Bein gerichtet werden sollte, bekam er einen Herzinfarkt. Er wurde auf die Intensivstation verlegt, und als es ihm dann etwas besser zu gehen schien, holte er sich eine Lungenentzündung. Zwei Wochen lang hing sein Leben an einem seidenen Faden. Drei- oder viermal glaubten wir, ihn zu verlieren. Unmöglich, in dieser Zeit einen Brief zu schreiben, Mr. Zimmer. Es war einfach zu viel, und Frieda konnte an nichts anderes denken.
Ist er immer noch im Krankenhaus?
Er ist gestern nach Hause gekommen. Ich habe heute früh den ersten Flug genommen, bin um halb drei in Boston gelandet und mit einem Mietwagen zu Ihnen rausgefahren. Das geht schneller, als einen Brief zu schreiben. Ein Tag statt drei oder vier, vielleicht sogar fünf. In fünf Tagen kann Hector längst tot sein.
Warum haben Sie mich nicht angerufen?
Das wollte ich nicht riskieren. Ich wollte Ihnen nicht die Möglichkeit geben, einfach aufzulegen.
Und warum liegt Ihnen so viel daran? Das ist meine nächste Frage. Wer sind Sie, und was haben Sie mit der Sache zu tun?
Ich kenne die beiden mein Leben lang. Sie stehen mir sehr nahe.
Wollen Sie mir etwa erzählen, dass Sie ihre Tochter sind?
Ich bin Charlie Grunds Tochter. Vielleicht können Sie sich an den Namen nicht erinnern, aber ich bin mir sicher, dass Sie ihn schon mal gelesen haben. Wahrscheinlich sogar Dutzende Male.
Der Kameramann.
Richtig. Er hat alle Filme Hectors bei Kaleidoscope gedreht. Als Hector und Frieda dann wieder anfingen, Filme zu machen, hat er Kalifornien verlassen und ist zu ihnen auf die Ranch gezogen. Das war 1940. 1946 hat er meine Mutter geheiratet. Ich bin dort zur Welt gekommen und aufgewachsen. Die Ranch bedeutet mir sehr viel, Mr. Zimmer. Alles, was ich bin, kommt von dorther.
Und Sie sind nie weggegangen?
Mit fünfzehn kam ich aufs Internat. Später aufs College. Danach habe ich in verschiedenen Städten gelebt. New York, London, Los Angeles. Ich habe geheiratet und mich scheiden lassen, ich habe gearbeitet, ich habe alles Mögliche getan.
Aber jetzt leben Sie wieder auf der Ranch.
Vor ungefähr sieben Jahren bin ich wieder dorthin gezogen. Meine Mutter starb, ich fuhr zur Beerdigung nach Hause. Und dann bin ich einfach dageblieben. Charlie ist ein paar Jahre später gestorben, aber ich bin immer noch da.
Und tun dort was?
Hectors Biografie schreiben. Ich sitze seit sechseinhalb Jahren daran, bin aber fast fertig.
Allmählich kommt Logik in die Geschichte.
Was sollte daran auch unlogisch sein? Glauben Sie, ich reise zweitausendvierhundert Meilen weit, um Ihnen dann irgendetwas zu verschweigen?
Das ist die nächste Frage. Warum ich? Es gibt so viele
Menschen auf der Welt - wieso sind Sie ausgerechnet auf mich gekommen?
Weil ich einen Zeugen brauche. Ich schreibe in dem Buch über Dinge, die niemand sonst gesehen hat, und falls nicht irgendjemand meine Behauptungen bestätigt, wird mir keiner glauben.
Aber dieser Jemand muss nicht ich sein. Das könnte doch auch jeder andere. Sie haben mir soeben auf Ihre umsichtige, umwegige Art zu verstehen gegeben, dass da noch spätere Filme existieren. Wenn es also noch mehr von Hector zu sehen gibt, sollten Sie Kontakt mit einem Filmexperten aufnehmen und ihn bitten, sich das anzusehen. Sie brauchen eine Autorität, die für Sie aussagt, jemanden, der einen guten Ruf auf diesem Gebiet hat. Ich bin bloß ein Amateur.
Sie mögen kein professioneller Filmkritiker sein, aber Sie sind ein Experte für Hector Manns Komödien. Sie haben ein außerordentliches Buch geschrieben, Mr. Zimmer. Niemand wird jemals etwas Besseres über diese Filme schreiben. Es ist das Buch zum Thema.
Bis zu diesem Augenblick hatte sie mir
Weitere Kostenlose Bücher