Das Buch der Illusionen
haben mitten in der Wüste dieses karge Dasein geführt. Woher hatten sie das Geld, um Filme zu produzieren?
Friedas Mutter starb und hinterließ ein Vermögen von über drei Millionen Dollar. Eine Hälfte davon fiel Frieda zu, die andere ihrem Bruder Frederick.
Und damit war die Finanzierung gesichert?
Das war damals sehr viel Geld.
Es ist noch heute sehr viel Geld, aber um Geld geht es in dieser Geschichte ja nicht allein. Hector hatte geschworen, nie mehr einen Film zu drehen. Das hast du mir vor wenigen Stunden erzählt, und jetzt führt er plötzlich doch wieder Regie. Wie ist es zu diesem Sinneswandel gekommen?
Frieda und Hector hatten einen Sohn. Thaddeus Spelling II, benannt nach Friedas Vater. Kurz Taddy, oder Tad, oder Tadpole - sie hatten alle möglichen Namen für ihn. Er wurde 1935 geboren und starb 1938. Durch einen Bienenstich, eines Morgens im Garten seines Vaters. Als sie ihn fanden, lag er auf dem Boden, am ganzen Körper aufgedunsen und verschwollen, und bis sie ihn die dreißig Meilen zum nächsten Arzt gefahren hatten, war er tot. Kannst du dir vorstellen, was für ein Schock das war?
Ich kann es mir vorstellen. Wenn es eins gibt, was ich mir vorstellen kann, dann das.
Entschuldige. Das war dumm von mir.
Schon gut. Es ist nur so, dass ich das eben nachvollziehen kann. Ich muss mir nicht das Hirn verrenken, um mich da hineinversetzen zu können. Tad und Todd. Viel ähnlicher können sich zwei Namen kaum sein.
Aber...
Kein Aber. Erzähl einfach weiter.
Hector brach zusammen. Monatelang tat er überhaupt nichts mehr. Er saß im Haus herum, starrte durchs Fenster in den Himmel, starrte auf seinen Handrücken. Natürlich war das auch für Frieda eine schlimme Zeit, aber er war längst nicht so widerstandsfähig wie sie, ja er war vollkommen schutzlos. Sie war stark genug, um sich davon zu überzeugen, dass der Tod des Jungen ein Unfall war, dass er gestorben war, weil er gegen Bienenstiche allergisch war; Hector hingegen sah darin so etwas wie eine Strafe der Götter. Er war zu glücklich gewesen. Das Leben hatte es zu gut mit ihm gemeint, und jetzt hatten die Parzen ihm eine Lektion erteilt.
Die Filme waren also Friedas Idee? Nachdem sie das Geld geerbt hatte, überredete sie Hector, wieder damit anzufangen?
So etwa. Er stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch, und ihr war klar, dass sie irgendetwas unternehmen musste. Nicht nur, um ihn zu retten, sondern auch, um ihre Ehe, um ihr eigenes Leben zu retten.
Und Hector war einverstanden.
Zunächst nicht. Aber dann drohte sie, ihn zu verlassen, und schließlich gab er nach. Ohne allzu großen Widerstand, sollte ich hinzufügen. Er wollte ja selbst unbedingt wieder damit anfangen. Zehn Jahre lang träumte er jetzt schon von Kameraeinstellungen, Beleuchtungseffekten, Drehbüchern. Es war das Einzige, was er tun wollte, das Einzige auf der Welt, was ihm vernünftig schien.
Und was war mit seinem Schwur? Wie hat er diesen Wortbruch gerechtfertigt? Nach allem, was du mir von ihm erzählt hast, begreife ich nicht, wie er das hat tun können.
Durch Haarspalterei - und dann hat er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Wenn im Wald ein Baum umfällt, und niemand hört ihn fallen: Macht er dann ein Geräusch oder nicht? Hector hatte inzwischen eine Menge Bücher gelesen, er war mit allen Tricks und Argumenten der Philosophen vertraut. Wenn jemand einen Film macht, und niemand sieht ihn: Existiert der Film dann oder nicht? So hat er sich gerechtfertigt. Er wollte Filme machen, die niemals vor Publikum laufen sollten, er wollte Filme machen aus reiner Lust am Filmemachen. Solch ein Nihilismus könnte einem die Sprache verschlagen, und doch hat er sich bis heute daran gehalten. Stell dir vor, du weißt, dass du irgendetwas gut kannst, so gut, dass alle Welt dich bewundern würde, wenn deine Arbeit der Öffentlichkeit bekannt würde, aber du verkriechst dich und lässt niemanden etwas davon sehen. Um das durchzuhalten, hat Hector sehr viel Konzentration und Strenge gegen sich selbst gebraucht -und ein wenig Wahnsinn war auch dabei. Hector und Frieda sind beide ein bisschen verrückt, nehme ich an, aber sie haben Bemerkenswertes geleistet. Emily Dickinson schrieb im Verborgenen, hat aber immerhin versucht, ihre Gedichte zu veröffentlichen. Van Gogh hat versucht, seine Bilder zu verkaufen. Soweit ich weiß, ist Hector der erste Künstler, der seine Werke in der bewussten, vorher festgelegten Absicht produziert, sie wieder zu vernichten. Natürlich
Weitere Kostenlose Bücher