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Das Buch der Illusionen

Das Buch der Illusionen

Titel: Das Buch der Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Budgets. Friedas Erbschaft brachte gute Zinsen, daher wurde das Kapital möglichst wenig angegriffen. Sie betrieben keinen großen Aufwand. Das war auch nötig, wenn sie das Geld strecken und lange etwas davon haben wollten.
    Und Frieda war für Kulissen und Kostüme zuständig.
    Unter anderem. Sie hat auch mit Hector am Schneidetisch gearbeitet, und bei den eigentlichen Dreharbeiten hatte sie auch noch verschiedene Aufgaben. Die Kontinuität überwachen, den Mikrofongalgen halten, die Kamera scharf stellen - alles, was jeweils an einem bestimmten Tag, in einem bestimmten Augenblick nötig war.
    Und deine Mutter?
    Meine Faye. Meine schöne, geliebte Faye. Sie war Schauspielerin. Sie kam 1945 auf die Ranch, um in einem Film mitzumachen, und verliebte sich in meinen Vater. Da war sie erst Anfang zwanzig. Danach hat sie in jedem von Hectors Filmen mitgewirkt, meist in der weiblichen Hauptrolle, aber sie half auch sonst überall aus. Sie hat Kostüme genäht, Kulissen gemalt, Hector bei den Drehbüchern beraten, Charlie im Labor assistiert. Das war ja das Reizvolle daran. Niemand hat dort nur eine Sache getan. Sie waren alle beteiligt, und sie haben alle unglaublich viel Zeit investiert. Monatelang mühsame Vorbereitungen, dann wieder monatelang die Nachbereitung. Das Filmemachen ist eine langsame, komplizierte Angelegenheit, und da sie nur so wenige waren und so viel erreichen wollten, kamen sie nur im Schneckentempo voran. Um ein Projekt abzuschließen, brauchten sie durchschnittlich zwei Jahre.
    Warum Hector und Frieda dort sein wollten, verstehe ich - jedenfalls gebe ich mir Mühe, es zu verstehen -, aber deine Eltern sind mir immer noch ein Rätsel. Charlie Grund war ein begnadeter Kameramann. Ich habe seine Arbeit gründlich studiert, ich weiß, was er 1928 mit Hector geleistet hat, und es ist mir unbegreiflich, dass er seine Karriere einfach so hat aufgeben können.
    Mein Vater hatte gerade eine Scheidung hinter sich. Er war fünfunddreißig und hatte es immer noch nicht in die oberen Ränge der Hollywood-Kameraleute geschafft. Nach fünfzehn Jahren im Geschäft musste er sich noch mit B-Filmen abgeben - falls er überhaupt Arbeit bekam. Western, Boston-Blackie-Filme, Kinderserien. Charlie war ungeheuer talentiert, aber er war ein stiller Mensch, einer, der sich nie ganz wohl in seiner Haut zu fühlen schien, und diese Schüchternheit wurde von vielen Leuten für Arroganz gehalten. Bei den guten Aufträgen zog er ständig den Kürzeren, und das setzte ihm mit der Zeit sehr zu und untergrub sein Selbstbewusstsein. Als seine erste Frau ihn verließ, fiel er für ein paar Monate in ein tiefes Loch. Er trank zu viel, wälzte sich in Selbstmitleid, vernachlässigte seine Arbeit. Und dann rief Hector an - gerade als er in diesem Loch steckte.
    Das erklärt immer noch nicht, warum er da mitgemacht hat. Kein Mensch macht Filme, die von vornherein niemand sehen soll. Das gibt's doch nicht. Wozu sollte man dann überhaupt einen Film in die Kamera einlegen?
    Es war ihm egal. Ich weiß, es fällt dir schwer, das zu glauben, aber ihm war allein die Arbeit wichtig. Die Ergebnisse waren nebensächlich, so gut wie bedeutungslos. Viele Filmleute sind so - besonders die im Hintergrund, die im Dunkeln, die kleinen Arbeiter. Die sind immer neugierig. Probieren aus, was sich mit der Technik alles machen lässt. Da geht's nicht um Kunst oder Ideen, sondern um die Arbeit als solche: die soll so gut wie möglich werden. Mein Vater hatte im Filmgeschäft Höhen und Tiefen erlebt, aber Filme machen, das konnte er, und Hector gab ihm die Gelegenheit, Filme zu machen, ohne sich ums Geschäft kümmern zu müssen. Von irgendeinem anderen hätte er einen solchen Auftrag wohl kaum angenommen. Aber mein Vater mochte Hector sehr gern. Er hat immer gesagt, das Jahr mit ihm zusammen bei Kaleidoscope sei das glücklichste seines Lebens gewesen.
    Hectors Anruf muss ihn doch schockiert haben. Wenn da nach zehn Jahren plötzlich ein Toter am Telefon ist.
    Er hat gedacht, jemand spiele ihm einen Streich. Sonst blieb nur noch die Möglichkeit, dass er mit einem Geist redete, und da mein Vater nicht an Geister glaubte, hat er Hector gesagt, er solle sich zum Teufel scheren, und aufgelegt. Hector musste noch dreimal zurückrufen, bis mein Vater endlich zuhörte.
    Wann war das?
    Ende 39. November oder Dezember, kurz nachdem die Deutschen in Polen einmarschiert sind. Anfang Februar 40 zog mein Vater schon auf die Ranch. Hectors und Friedas neues Haus war

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