Das Buch der Illusionen
wahllos irgendwohin geschickt, und du hast sie gefunden. Du bist überhaupt der einzige Mensch auf der Welt, der sie gefunden hat. Und damit sind wir alte Freunde, oder? Wir haben uns vielleicht erst gestern kennengelernt, aber wir arbeiten schon seit Jahren zusammen.
Du hast da wirklich ein unglaubliches Kunststück fertiggebracht. Ich habe mit allen möglichen Verantwortlichen gesprochen, und keiner von ihnen hatte eine Ahnung, wer du sein könntest. In Kalifornien habe ich mit Tom Luddy gegessen, dem Leiter des Pacific-Film-Archive. Dort war das letzte der mysteriösen Hector-Mann-Pakete angekommen. Als es eintraf, warst du schon seit einigen Jahren aktiv, und die Sache hatte sich rumgesprochen. Tom hat erzählt, er habe das Paket gar nicht erst geöffnet, sondern direkt zum FBI gebracht und den Inhalt auf Fingerabdrücke untersuchen lassen; aber es waren keine da - kein einziger. Du hast keine Spur hinterlassen.
Ich habe Handschuhe getragen. Bei der ganzen Mühe, die ich mir gemacht habe, die Herkunft der Filme zu verschleiern, wäre ich über so eine Kleinigkeit ganz bestimmt nicht gestolpert.
Ganz schön clever, Alma.
Und ob ich clever bin. Ich bin das cleverste Mädchen in diesem Auto, und von mir aus kannst du gern versuchen, das Gegenteil zu beweisen.
Aber wie konntest du es rechtfertigen, hinter Hectors Rücken zu handeln? Er hätte das doch entscheiden müssen, nicht du.
Ich habe vorher mit ihm darüber geredet. Es war meine Idee, aber getan habe ich es erst, als er mir grünes Licht gegeben hat.
Was hat er denn gesagt?
Er hat nur mit den Achseln gezuckt. Und dann hat er geschmunzelt. Ist nicht so wichtig, hat er gesagt. Tu, was du willst, Alma.
Er hat dich also nicht daran gehindert, dich aber auch nicht unterstützt. Er hat einfach gar nichts getan.
Es war im November 81, fast sieben Jahre ist das her. Ich war gerade wieder auf der Ranch, zur Beerdigung meiner Mutter; das war für uns alle eine schlimme Zeit, der Anfang vom Ende, könnte man sagen. Ich muss zugeben, ich habe das kaum verkraftet. Sie war erst neunundfünfzig, als wir sie begraben mussten, und ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet. Ein vernichtender Schlag. Ein besseres Wort fällt mir dafür nicht ein: vernichtend. Als ob alles in mir zu Staub zerfallen wäre. Die anderen waren inzwischen schon sehr alt. Ich blickte auf und erkannte plötzlich, dass sie am Ende waren, dass das große Experiment vorbei war. Mein Vater war achtzig, Hector einundachtzig, und wenn ich das nächste Mal aufblicken würde, wären sie alle tot.
Das hat mich sehr erschüttert. Jeden Morgen bin ich in den Vorführraum gegangen und habe mir meine Mutter in ihren alten Filmen angesehen, und wenn ich dann wieder rauskam, war es draußen schon dunkel, und ich habe mir die Augen aus dem Kopf geweint. Nach zwei Wochen beschloss ich, nach Hause zurückzufahren. Ich lebte damals in L. A. Ich hatte einen Job bei einer unabhängigen Filmgesellschaft, und dort wurde ich gebraucht. Ich war schon reisefertig, hatte sogar schon den Flug gebucht, aber buchstäblich in letzter Minute - an meinem letzten Abend auf der Ranch - hat Hector mich gebeten, dazubleiben.
Hat er einen Grund genannt?
Er sagte, er sei jetzt bereit zu reden, und dazu brauche er Unterstützung. Allein könne er das nicht.
Das Buch war also seine Idee?
Von A bis Z. Ich selbst wäre nie auf so etwas gekommen. Und wenn doch, hätte ich nie mit ihm darüber gesprochen. Das hätte ich nicht gewagt.
Er hat den Mut verloren. Das ist die einzige Erklärung. Entweder er hat den Mut verloren, oder er ist senil geworden.
Das habe ich auch gedacht. Aber ich habe mich geirrt, und du irrst dich jetzt auch. Dass Hector es sich anders überlegt hat, lag an mir. Er sagte, ich hätte ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren, und wenn ich bleiben und ihm zuhören wolle, werde er mir die ganze Geschichte erzählen.
Okay, das kann ich akzeptieren. Du gehörst zur Familie, du bist erwachsen, und jetzt kann man dich in die Geheimnisse der Familie einweihen. Aber wie kann eine private Beichte zu einem Buch werden? Schön und gut für ihn, dir sein Herz auszuschütten, aber ein Buch ist etwas für die ganze Welt, und wenn er seine Geschichte der Welt erzählt, wird doch sein Leben sinnlos.
Nur wenn es noch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wird. Aber das wird es nicht. Ich habe ihm versprochen, es niemandem zu zeigen, solange er noch lebt. Er hat mir die Wahrheit versprochen, und ich habe ihm das
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