Das Buch der Illusionen
versprochen.
Und dir ist nie in den Sinn gekommen, dass er dich benutzen könnte? Du kannst dein Buch schreiben, in Ordnung, und wenn alles gut geht, wird es als wichtiges Buch anerkannt, zugleich aber lebt Hector durch dich weiter. Nicht wegen seiner Filme - die nicht einmal mehr existieren werden -, sondern wegen der Dinge, die du über ihn geschrieben hast.
Schon möglich. Alles ist möglich. Aber seine Motive kümmern mich nicht sonderlich. Mag sein, dass er aus Angst handelt, aus Eitelkeit, aus verspäteter Reue - aber er hat mir die Wahrheit gesagt. Alles andere zählt nicht. Es ist schwer, die Wahrheit zu sagen, David, und Hector und ich haben in den letzten sieben Jahren eine Menge durchgemacht. Er hat mir alles zur Verfügung gestellt - alle seine Tagebücher, alle seine Briefe, jedes Dokument, das ihm erreichbar war. Zurzeit denke ich noch nicht einmal an eine Veröffentlichung. Ob das Buch nun herauskommt oder nicht: es zu schreiben war die größte Erfahrung meines Lebens.
Und was hat Frieda mit alldem zu tun? Hat sie euch beiden geholfen oder nicht?
Es war hart für sie, aber sie hat ihr Bestes getan, uns zu unterstützen. Ich glaube nicht, dass sie mit Hector einverstanden ist, aber sie will sich ihm nicht in den Weg stellen. Es ist kompliziert. Bei Frieda ist alles kompliziert.
Wann hast du dich entschieden, Hectors alte Filme in die Welt hinauszuschicken?
Gleich zu Beginn. Ich wusste noch nicht, ob ich ihm trauen konnte, und mein Vorschlag war eine Art Test, um herauszufinden, ob er es ehrlich mit mir meinte. Hätte er abgelehnt, wäre ich wahrscheinlich nicht geblieben. Er musste mir irgendetwas opfern, mir ein Zeichen seiner guten Absichten geben. Das hat er verstanden. Wir haben nie direkt darüber gesprochen, aber er hat es verstanden. Und deswegen hat er nie etwas dagegen unternommen.
Das beweist immer noch nicht, dass er es ehrlich mit dir gemeint hat. Du hast seine alten Filme wieder in Umlauf gebracht. Was ist so schlimm daran? Die Leute erinnern sich jetzt wieder an ihn. Ein verrückter Professor aus Vermont hat sogar ein Buch über ihn geschrieben. Aber nichts davon ändert etwas an der Geschichte.
Wenn er mir etwas erzählt hat, habe ich das jedes Mal nachgeprüft. Ich war in Buenos Aires, ich bin der Spur von Brigid O'Fallons Knochen nachgegangen, ich habe die alten Zeitungsartikel über die Schießerei in Sandusky ausgegraben, ich habe mit mehr als einem Dutzend Schauspielern gesprochen, die in den vierziger und fünfziger Jahren auf der Ranch gearbeitet haben. Nie bin ich auf Diskrepanzen gestoßen. Manche Leute waren natürlich nicht aufzutreiben, und andere waren inzwischen gestorben. Jules Blaustein, zum Beispiel. Und zu Sylvia Meers habe ich immer noch nichts gefunden. Aber ich war in Spokane und habe mit Nora gesprochen.
Sie lebt noch?
Und wie. Zumindest noch vor drei Jahren.
Und?
1933 hat sie einen gewissen Faraday geheiratet; die beiden hatten vier Kinder. Von diesen Kindern hatten sie elf Enkel, und um die Zeit meines Besuchs war einer dieser Enkel gerade dabei, sie zu Urgroßeltern zu machen.
Schön. Ich weiß nicht genau warum, aber das freut mich zu hören.
Sie hat vierzehn Jahre lang als Lehrerin gearbeitet, immer in der vierten Klasse, und dann hat man sie zur Schulleiterin befördert. Die Stelle hatte sie bis 1976, als sie pensioniert wurde.
Mit anderen Worten: Nora ist Nora geblieben.
Sie war über siebzig, als ich sie besucht habe, aber sie kam mir noch immer wie die Frau vor, die Hector mir geschildert hatte.
Und was war mit Herman Loesser? Hat sie sich an ihn erinnert?
Sie hat geweint, als ich seinen Namen erwähnte.
Richtig geweint?
Ja, ihre Augen füllten sich mit Tränen, und die Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie hat geweint. Genauso, wie du und ich weinen. Genauso, wie jeder Mensch weint.
Du liebe Zeit.
Sie war so entsetzt, so verlegen, dass sie aus dem Zimmer gehen musste. Als sie zurückkam, nahm sie meine Hand und bat um Entschuldigung. Die Sache mit ihm sei so lange her, sagte sie, aber sie habe nie aufhören können, an ihn zu denken. In den vergangenen vierundfünfzig Jahren sei sie an jedem einzelnen Tag in Gedanken bei ihm gewesen.
Das hast du dir ausgedacht.
Ich denke mir nichts aus. Wenn ich nicht da gewesen wäre, hätte ich es selbst nicht geglaubt. Aber es war so. Alles ist genauso geschehen, wie Hector es erzählt hat. Jedes
Mal wenn ich denke, er hat mir eine Lüge aufgetischt, stellt sich heraus, dass er die Wahrheit
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