Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
und rannte einfach davon.
Beinah entsetzt fuhr Eduard zusammen. Zwei ineinandergreifende Dreiecke, eines davon auf der Spitze stehend, waren auf dem Papier aufgemalt. Die einzelnen Zacken wurden durch einen Kreis miteinander verbunden.
„Ich konnte Showy nicht erreichen“, sagte Cloud, als er das Wohnzimmer betrat. Eduard faltete das Blatt zusammen und steckte es in seine Hosentasche, bevor Cloud es bemerkte. „Ich versuche es nach dem Essen noch einmal“, versuchte Cloud sich selbst zu trösten. „Kommst du?“ Erwartungsvoll blickte er auf seinen Freund. Eduard mußte sich zusammenreißen, um nicht seine Fassungslosigkeit preiszugeben. Stumm nickte er Cloud nur zu.
Am Tisch saß Eduard dem kleinen Larsen gegenüber. Dieser löffelte eifrig die Suppe in sich hinein. Nicht einmal blickte er dabei auf. Mit verstohlenen Blicken musterte Eduard jede seiner Bewegungen.
Meni konnte nur ahnen, was miteinander gesprochen wurde. Sie fühlte es bereits, daß Cloud sie wieder für ein paar Tage verlassen würde. Immer wieder warf sie Cloud fragende Blicke zu, doch geschickt wußte dieser sie zu umgehen. Während des Essens wurde kein Wort miteinander gesprochen. Nicht einmal Larsen, der beim Essen sonst immer viel zu erzählen wußte. Plötzlich wurde die gedrückte Stimmung von Schreien noch unterstrichen. Babygeschrei. Meni stand auf und eilte in das Zimmer von Janina.
„Daddy, bleibt Onkel Eduard bei uns?“ fragte Larsen auf einmal.
Etwas verwirrt blickte Cloud auf seinen Freund. „Kannst du Caroline mit deinen Kindern alleine lassen?“
„Ich sagte ihr bereits, daß ich für mehrere Tage unterwegs sein werde“, erwiderte Eduard mit ernster Miene.
„Und deine Kinder?“
„Mein Bruder ist bei ihr. Bei ihm sind sie bestens aufgehoben.“
Janinas Schreie klangen in Clouds Ohren wie betäubende Rufe der Verzweiflung. „Der Jüngste Tag“, flüsterte er in sich hinein, „er wird sich ankündigen durch schreiende Babys.“ Cloud fröstelte, als er Eduard dabei anblickte.
„Eine Nacht und einen Tag werden sie ununterbrochen schreien“, setzte Eduard Rouvens Rede fort. „ Kein Arzt wird ihnen zu Hilfe kommen. Am Ende dieses Tages werden sie sterben.“
Cloud bewegte langsam seinen Kopf hin und her. „Nicht mein Kind“, hauchte er entsetzt. „Nicht mein Kind.“
Die Schreie schienen noch lauter zu werden. Clouds Ohren begannen zu schmerzen, sein Inneres wollte es ihm zerreißen. Wie erstarrt saß er nur da. Regte sich nicht. Hilflos! Er kam sich hilflos vor in dieser unbarmherzigen Welt. Plötzlich von einem Moment auf den anderen erstarben die Schreie. Stille erfüllte das Haus. Unheimliche Stille. Larsens Blicke wanderten von seinem Vater zu Eduard, von Eduard wieder zu seinem Vater. Wenig später betrat Meni die Eßküche.
Larsen sprang von seinem Stuhl und klammerte sich um das Bein seiner Mutter.
„Mama, wird das Baby sterben?“ Mit aufgerissenen Augen blickte Larsen zu ihr empor. Erschrocken sah Meni auf ihren Sohn.
„Larsen, was sagst du denn da.“ Verständnislos wanderten ihre Blicke von Larsen zu Cloud. Diesem hatte es einen Schock versetzt. Hilfesuchend starrte er auf Eduard.
„Du brauchst keine Angst zu haben, Larsen“, sagte Eduard mit sanfter Stimme. „Du wirst noch viel Freude an deinem Schwesterlein haben.“
Larsen drehte sich Eduard zu. Wild schüttelte er seinen Kopf, löste sich von seiner Mutter und rannte, noch ehe Meni ihn halten konnte, zur Tür hinaus.
„Was hat das zu bedeuten?“ wollte Meni sofort wissen. „Von was habt ihr vorhin gesprochen?“
Cloud erhob sich von seinem Stuhl. Langsam trat er auf Meni zu.
„Was?“ wiederholte sich Meni. „Ich will es wissen, jetzt gleich!“ Das erste Mal seit ihrem gemeinsamen Leben wich Meni vor ihrem Mann zurück. Cloud erkannte sofort den Ernst der Lage. Traurig schimmerten seine Augen, als er vor Meni stehen blieb.
„Es ist soweit“, flüsterte er nur. „Es hat uns wieder, Meni. Es ist wieder da. Wir haben keine Chance, wenn wir nicht sofort etwas dagegen tun, Meni. Verstehst du?“
Entsetzen war in Menis Gesicht zu lesen. Nun war es ausgesprochen. Nichts konnte es mehr zurücknehmen. Wie eine dicke Wolke schwebte es in dem Raum. Eine Wolke voller Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
„Du – mußt – gehen?“ brachte sie nur mühevoll über die Lippen. Cloud nickte nur.
„Kommst – du – wieder?“ Tränen füllten ihre Augen. Nur mit allergrößter Mühe konnte sie einen Weinkrampf
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