Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
weiß nicht, was es auf sich hatte, aber es war so etwas wie ein Hinweis.“
„Rouven“, zischte Cloud. „Wir müssen ihn finden! Ohne das Buch geht nichts!“
„Hast du noch den Brief von ihm?“
„Du meinst, den von seinem Vater?“ Cloud stand auf. Seine Glieder fühlten sich schwer an, als würden Bleikugeln an seinen Beinen hängen. Mühsam schleppte er sich zum Wohnzimmer hinaus. Eduard folgte ihm mit den Blicken, bis er nach wenigen Minuten mit dem Brief in der Hand wiederkam.
„Siebzehn Jahre ist es nun her“, sagte Cloud und setzte sich in den Sessel zurück. „Siebzehn Jahre, und nichts hat sich geändert. Nichts!“ Er faltete den Brief auseinander. Im Laufe der Zeit hatte sich das Papier vergilbt, doch die Schrift war noch einigermaßen gut zu lesen.
„Lies ihn vor“, forderte Eduard auf. „Vielleicht steht etwas darin, das wir damals noch nicht begreifen konnten.“
Der Brief erinnerte Cloud für Augenblicke an diese Minuten zurück, wie er ihn in ihrem Lager feierlich auseinandergefaltet und ihn Showy und Ellinoy vorgelesen hatte. Allerdings überschattet von Champys Verlust seines Fingers, dem sie es eigentlich zu verdanken hatten, in den Besitz dieses Briefes gekommen zu sein. Gefühle, die er damals empfand, kehrten in ihn zurück. Mit jedem Wort, das er las, spiegelte sich die Vergangenheit in ihm wider.
Aufmerksam lauschte Eduard den Worten. Auch er sah sich momentan zu jener Zeit in das geheime Lager zurückversetzt.
„Nur Du kannst verhindern, daß diese Schatten das Licht Gottes verdrängen. Das Licht, das die Erde am Leben erhält“, endete Cloud den Brief. Lange sahen sie sich an, keiner Worte mächtig, ließen sie die Stille auf sich wirken.
Nach geraumer Zeit erst war Eduard es, der sie in die Gegenwart zurückholte. „Wir brauchen ihn“, sprach er sehr leise, doch deutlich. Mit dem Finger zeigte er auf das Blatt, auf das Zeichen, das Larsen gemalt hatte. „Rouven ist das Siegel. Rouven Blandow, Dumpkin. Wir haben ihn damals unterschätzt.“
Cloud nickte Eduard zu. Er sagte nichts, doch in seinen Augen war es zu lesen, die Wahrheit, die er zu gerne verdrängen würde.
2. Kapitel
Rotbart
Immer mehr Menschen versammelten sich um den Redner, der sich auf die oberste Stufe des Kircheneinganges gestellt hatte, um dadurch von allen gesehen werden zu können. Gekleidet war er nur mit einem alten, abgetragenen, doch gepflegten Gewand, das an der Hüfte mittels einer Kordel zusammengebunden war. Das Auffälligste an seiner Erscheinung war der gewaltige Körperbau, der unter dem braunen Gewand nur vermutet werden konnte. Sowie das grelle rote Haar und der lange rote Bart, der sich unterhalb des Halses zu einer Spitze zusammenkreuselte. Starr richteten sich seine Augen auf die Hörerschaft. Laut erscholl seine Stimme über deren Köpfe hinweg. Mit gekonnten Wortwendungen gelang es ihm, die Aufmerksamkeit vieler auf sich zu lenken.
„Propheten“, rief er ihnen entgegen. „Propheten, wie es damals Engel Gottes gewesen sind. Sie haben versucht, das zu verhindern, was einst das Licht in tiefe Finsternis gewandelt hatte. Verfolgt sind sie damals geworden. Verfolgt, gefangen, gemartert und auf menschenunwürdige Weise zu Tode gerichtet. SIE haben es gewußt. SIE wollten es verhindern. SIE, die einstigen Propheten. Ausgelöscht von Unverstandenen. Ausgelöscht von jenen, die sie nicht hören wollten, die Wahrheit. Die Wahrheit über uns selbst, unser Ich. Nun ist es zu spät, das Ende, die Offenbarung, längst ist sie schon prophezeit. Habt die Kraft, nehmt sie in euch auf. Kehrt in euch zurück und ihr werdet es sehen, das Ewige, das Immerwährende. Nur euer Antlitz ist das Wahre, das Reine. Hütet euch vor der Finsternis, denn sie ist der Feind des Lichtes. Der Feind Gottes, der es sich wieder holen will um zu herrschen wie ein Tyrann. Achtet auf die Zeichen, die das Ende dieser Zeit ankündigen werden. Babys werden schreien, einen Tag und eine Nacht. Kein Arzt wird ihnen zu Hilfe kommen. Am Ende dieses Tages werden sie sterben. Sterben, um Trauer zu verbreiten. Trauer, die eure Augen verschließen wird. Vögel werden nicht mehr singen, doch tot werden sie vom Himmel fallen. Am Ende des dritten Tages wird der Mond sich in der Nacht blutrot verfärben. Euer Blut wird es sein, und eure Körper werden verfallen, um zu Staub zu werden. Ihr habt –“
„Aufhören!“ schrie auf einmal jemand aus den hinteren Reihen. „Noch ein Wort, und ich stopf dir dein Maul!“
Der
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