Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
neben dem Wickeltisch.
„Mein Gott“, stammelte sie. Mit jedem Gedanken kamen ihr die Erinnerungen wieder. Als wäre es erst gestern gewesen.
„Mein Kind, nicht mein Kind.“ Ihre Augen wurden feucht. Tränen rollten über ihre Wangen. Janinas Schreie begannen ihr in den Ohren zu dröhnen.
Ein Krachen erschütterte das Haus. Ängstlich zuckte Meni zusammen. Kurz darauf vernahm sie das Klirren von Glas. Wie wenn jemand Fensterscheiben einschlagen würde. Ihr erster Gedanke galt Clouds Geschichte. Jeden weiteren Gedanken versuchte sie zu verdrängen. Zitternd legte sie Janina in die Wiege zurück. Nur langsam verließ sie das Zimmer. Kaum hatte sie den Flur betreten, erscholl ein erneuter Schlag vom Erdgeschoß herauf. Meni schauderte. Zaghaft wandte sie sich um. Aus Larsens Zimmer leuchtete Licht.
„Gott sei Dank“, hauchte sie, in der Annahme, Larsen sei in seinem Zimmer. Leise schlich sie sich an seine Tür, drückte sie vorsichtig auf. Larsen war nirgends zu sehen. Auch nicht in seinem Bett unter der Decke. Nirgends! Meni fuhr herum.
„Larsen“, hauchte sie. Ihre Angst schien auf einmal wie weggeblasen. Von Janinas Schreien begleitet stürzte sie die Treppe hinunter. Überall brannte Licht. Wieder das Klirren von Glas. Eindeutig kam es aus dem Wohnzimmer. Meni hetzte den Gang entlang. Verfolgt von dem Geschrei ihrer Tochter. Entsetzt blieb sie im Eingangsbereich des Wohnzimmers stehen. Eiskalte Luft blies ihr ins Gesicht. Sämtliche Scheiben waren zertrümmert. Ein Teil des Wandschrankes lag ausgeräumt und auf dem Boden zerstreut. Von Larsen keine Spur.
Fassungslos starrte Meni auf die zertrümmerten Scheiben. Janinas Schreie vernahm sie nur noch entfernt, als würde sie sich weit weg befinden. Plötzlich hörte sie ein leises Geräusch hinter sich. Erschreckt drehte Meni sich danach um. Larsen stand ihr gegenüber. Er hielt ein Rasiermesser seines Vaters in der Hand. Blut tropfte daran herunter. Von Janina war nichts mehr zu hören. Meni rang nach Luft. Wie ein Tier sprang Larsen sie blitzartig an.
*
„Meni –!“ Schweißgebadet erwachte Cloud aus einem unruhigen Schlaf. Wirr blickte er um sich. Stockfinster war es um sie herum. Das leise Summen der Standheizung brachte ihn in die Gegenwart zurück. Neben ihm schlief Eduard. Eingewickelt in einen Schlafsack wälzte er sich hin und her.
Nachdem sie das Kirchengelände Hals über Kopf verlassen hatten, entschlossen sie sich, Mountain-City für die Nacht über nicht mehr zu betreten. Abseits auf einem einsamen Waldparkplatz versuchten sie dann ein wenig Ruhe zu finden. Schichtweise wollten sie nur schlafen. Alle zwei Stunden im Wechsel, um möglichen Überraschungen aus dem Weg zu gehen. Cloud war während seiner Wache eingenickt. Nervös warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. Es dauerte einige Zeit, bis er die Leuchtzahlen entziffern konnte.
„Viertel nach sechs“, flüsterte er zu sich. „Ich muß die gesamte Zeit über geschlafen haben.“ Vorsichtig erhob er sich ein wenig, um aus dem Seitenfenster zu blicken. Nicht einen Gegenstand konnte er bei dieser Finsternis erkennen.
„Psst“, zischte es plötzlich. Cloud zuckte zusammen. Er konnte es nicht genau ausmachen, woher dieses Zischen kam. Nur langsam drehte er seinen Kopf Eduard entgegen. Eduard schlief, immer noch.
„Psst“ wiederholte sich das Geräusch nun wieder. Eiskalt lief es Cloud über den Rücken. Es kam deutlich vom vorderen Teil des Wagens, der sich direkt hinter seinem Rücken befand. Auf einmal hatte er das beklemmende Gefühl, als würde sich ihm etwas nähern.
„Psst“, zischte es zum dritten Mal. Mehrmals atmete Cloud tief durch. Blitzschnell griff er dann nach seinem Taschenmesser, das er neben sich liegen hatte. Ein leichter Druck, und die Klinge sprang hervor. Gleichzeitig wandte er sich um. Die Sitze waren leer. Nicht der mindeste Anschein, daß sich noch jemand im Wagen befinden würde.
„Was hast du?“ vernahm er die Stimme Eduards. Durch den schnellen Ruck von Cloud war er aufgewacht.
Cloud drehte sich zu ihm. „Ich weiß nicht“, erwiderte er. „Mir war, als hätte ich etwas gehört.“
Eduard richtete sich auf. „Bist du dir sicher?“
„Nein, nicht sicher“, entgegnete Cloud kopfschüttelnd, obwohl er einen Irrtum ausschloß.
„Wie spät ist es denn?“ fragte Eduard darauf. Mit dem Ärmel wischte er sich über die Stirn.
„Kurz vor halb sieben Uhr“, gab Cloud ihm die Zeit. Er ließ die Klinge wieder im Schaft verschwinden.
„Ich
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