Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
Friedhofes verborgen gehalten.
*
Unruhig saß Meni im Wohnzimmer. Vor wenigen Minuten hatte sie Larsen zu Bett gebracht. Janina schlief seit Stunden tief und fest. Nervös stand Meni auf, holte sich ein Buch aus dem Wandschrank, setzte sich wieder und begann in dem Buch zu blättern. Nur verschwommen sah sie die Buchstaben, als würden sie auf den Seiten tanzen. Wie sehr hatte sie sich am Morgen beherrschen müssen, nachdem Cloud mit Eduard das Haus überstürzt verlassen hatte. Sie hatte sich ihrem Sohn gegenüber nichts anmerken lassen wollen. Dennoch hatte der Kleine ihre Gefühle erraten. Mehrmals fragte er sie, ob sie sehr traurig darüber ist, daß Daddy sie wieder verlassen hat. Dann noch dieser seltsame Anruf. Noch nie hatte Larsen den Hörer einfach abgenommen. Doch an diesem Morgen tat er es. Obwohl sein Vater noch vor dem Haus gewesen ist, sagte er dem Anrufer, er sei längst schon wieder abgereist. Meni hatte nicht mehr die Möglichkeit etwas zu sagen, zu schnell hatte Larsen die Hörmuschel wieder aufgelegt. Sie ließ sich nicht anmerken, daß sie ihren Sohn dabei beobachtet hatte. Auch wollte sie ihn nicht zur Rede stellen. Nicht an solch einem Tag.
Das Ticken der Küchenuhr war bis in das Wohnzimmer zu hören. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Pausenlos dachte sie an Cloud, an ihren Mann. Wie sehr sie ihn vermißte. Immer wieder trieb es ihr Tränen in die Augen. Sie glaubte den Erzählungen von Cloud. Sie glaubte daran, und doch wollte sie es nicht wahrnehmen, es verdrängen. Immer wieder versuchte sie sich einzureden, daß das alles nicht wahr sein konnte, nicht durfte. Schwer atmend legte Meni das Buch auf den Tisch, stand auf und begab sich in die Küche. Nachdem sie sich etwas zu trinken eingeschenkt hatte, ging sie wieder zurück ins Wohnzimmer. Erschöpft legte sie sich auf das Sofa. Minuten später fielen ihr die Augen zu.
Eine Stunde verging. Plötzlich drang das Schreien eines Babys an ihre Ohren. Eine Viertelstunde verstrich, ehe sie die Schreie wahrnahm. Erschrocken fuhr sie auf. Hastig eilte Meni die Treppe hinauf. Die Schreie wurden immer lauter. Mit jeder Stufe, die sie hinter sich brachte. Janina schrie. Aus vollem Hals schrie sie, so daß ihr kleines Köpfchen hochrot angelaufen war. Sachte nahm Meni sie aus der Wiege.
„Was hast du denn, mein Kleines“, versuchte sie Janina zu beruhigen. „Ich bin ja schon bei dir.“ Behutsam drückte sie ihr Töchterlein gegen ihre Brust, wiegte sie gleichmäßig hin und her. Unaufhörlich schrie Janina weiter. Meni legte Janina auf den Wickeltisch, um nachzusehen ob sie vielleicht in die Windeln gemacht hatte. Die Windeln waren trocken. Langsam schnürte sie die Bändchen wieder zusammen. Dabei versuchte sie durch ständiges Reden, durch ihre sanfte Stimme Janina zu besänftigen. Jedoch ohne Erfolg. Wild strampelte sie ihre Beine, wobei sie mit verzerrtem Gesicht ihrer Muter entgegenschrie.
„Wird mein Schwesterlein jetzt sterben?“ vernahm sie plötzlich Larsens Stimme hinter sich. Bestürzt wandte Meni sich nach ihm um. Mit großen Augen starrte er auf seine Mutter. „Wird sie jetzt sterben, Mama?“ fragte er nochmals.
„Was sagst du denn da, Larsen?“ Fassungslos blickte sie ihn an. Verstört nahm sie Janina wieder in die Arme.
„Eine Nacht und einen Tag werden sie ununterbrochen schreien“, erwiderte Larsen. „Kein Arzt wird ihnen zu Hilfe kommen. Am Ende dieses Tages werden sie sterben.“
„Von was redest du?“ Entsetzen stand in Menis Gesicht geschrieben. Irgendwo hatte sie diese Worte schon einmal vernommen. Vor langer, langer Zeit. Janina krallte sich an ihren Armen fest. Meni war, als würde sie noch lauter schreien. Verzweifelt blickte sie hin und her.
„Das hat Onkel Eduard gesagt“, sprach Larsen weiter. „Er hat es zu Daddy gesagt.“
Meni machte einen Schritt zurück. Wie ein Blitz fiel es ihr wieder ein. Die Worte auf dem Tonband, damals in der Kirche. Cloud hatte ihr nicht alles gesagt. Das Schlimmste, das hatte er ihr verschwiegen.
„Bitte geh in dein Zimmer“, forderte sie Larsen auf. Ihre Stimme vibrierte, wurde jedoch von Janinas Schreien übertönt. Larsens Augen füllten sich mit Tränen. Noch nie hatte seine Mutter ihn fortgeschickt. Langsam senkte er seinen Kopf. Er drehte sich um und verschwand durch die Tür. Augenblicklich tat es Meni leid, daß sie ihn weggeschickt hatte. Sie wollte hinterher, doch Janinas Schreie hielten sie davon ab. Niedergeschlagen setzte sie sich auf den Stuhl
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