Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
Seine Gesichtszüge schienen wie versteinert.
„Vor wenigen Minuten hat ein Sheriff die Kirche durch den Hintereingang betreten. Champy ist in Gefahr!“
„Sie kommen niemals allein“, erwiderte Eduard.
„Wir müssen ihm zu Hilfe kommen“, drängte Cloud. „Bestimmt haben sie den Kneipenwirt gefunden.“
„Nicht mehr lange, dann wird es dunkel“, wiederholte sich Eduard. Gleichzeitig griff er in das Innere seiner Manteltasche. „Kennst du sie noch?“ fragte er und streckte Cloud die kleine Taschenlampe entgegen.
„Ich habe sie nicht vergessen“, erwiderte er etwas verwirrt. „Hast du mich denn nicht verstanden, Ellinoy? Champy, wir müssen ihm zu Hilfe kommen!“
„Champy ist bewaffnet, wir nicht“, sagte Eduard, ohne sich von der Stelle zu rühren.
„Willst du damit sagen, wir sollen ihn einfach hängenlassen?“ Cloud machte erschrocken einen Schritt zurück. Entgeistert sah er seinem Freund in die Augen.
„Wie sollen wir ihm denn zu Hilfe kommen?“ hielt Eduard vorwurfsvoll entgegen. „Wir sollten zusehen, daß sie uns nicht auch noch erwischen. Das wäre das Ende. Verstehst du, das Ende!“
Cloud atmete mehrmals tief durch. Schwerfällig senkte er seinen Kopf. „Du hast recht“, hauchte er nur.
Eduard steckte die Taschenlampe wieder ein. „Jetzt haben wir zwei gegen uns“, sprach er leise. „Ihn und den Sheriff. Das hat uns gerade noch gefehlt.“
*
Svensen ließ den Holzverschlag nur angelehnt. Das wenige Licht, das durch den kleinen Spalt in das Innere drang, wurde beinah gänzlich von der Dunkelheit verschluckt. Es dauerte einige Zeit, bis sich seine Augen daran gewöhnten. Nur schleierhaft erkannte er den Treppenaufgang, dann die gegenüberliegende Tür, die zum Altarbereich führte. Kurz blieb er vor ihr stehen und horchte, bevor er seine Hand an den Griff legte. Wider Erwarten ließ sie sich nahezu geräuschlos öffnen. Flackerndes Licht fiel auf seinen Körper. Verwundert betrachtete er den Altar, der verdeckt mit einem weißen Tuch von mehreren Kerzen erleuchtet wurde.
Skeptisch machte er einen Schritt nach vorn. Jederzeit bereit, seinen Revolver zu gebrauchen. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen die Wand und ließ seine Blicke von einer Richtung in die andere gleiten. Das dämmernde Tageslicht, das durch die bunte Verglasung nur einen spärlichen Schimmer verbreitet, reichte gerade noch aus, die Gegenstände erkennen zu lassen. Der kleine Vorraum im Eingangsbereich lag jedoch im Dunkeln. Ein leises Geräusch machte sich aus dieser Richtung bemerkbar. Sekunden darauf sah Svensen, wie sich Sheriff Wilson auf der anderen Seite an der Wand entlang schlich. An der vordersten Bankreihe angelangt, richtete er seinen Blick auf ihn. Per Handzeichen deutete er ihm an, die Stufen zu der Galerie emporzusteigen. Svensen nickte ihm zu, daß er den Hinweis verstanden hatte. Ständig mit dem Rücken gegen die Mauer bewegte er sich dem Aufgang der Galerie entgegen. Die Stufen knarrten. Svensen versuchte so leicht wie möglich aufzutreten, doch schon beim geringsten Widerstand gab die Treppe dieses verräterische Geräusch von sich. Wilson ließ seinen Gefährten nicht einen Moment aus den Augen. Jeden Augenblick rechnete er damit, daß sich auf der Galerie jemand erheben würde, um auf Svensen zu schießen. Die oberste Stufe hatte er erreicht. Svensen blickte über die Brüstung hinweg auf die veraltete Orgel. Viele Gelegenheiten, sich zu verstecken, gab es nicht. Blitzschnell machte er einen Satz nach vorn. Gleichzeitig warf er sich zu Boden, so daß er kein genaues Ziel von sich geben konnte. Nichts geschah. Außer ihm schien sich niemand mehr auf der Galerie zu befinden. Auf allen vieren näherte er sich dennoch den Orgelpfeifen, die sich im hinteren Teil der kleinen Empore befanden. Als einzige Möglichkeit boten sie den Platz eines Versteckes. Doch auch dahinter hielt sich niemand verborgen. Erleichtert und unzufrieden zugleich erhob Svensen sich wieder. Er blickte auf die Stelle, auf der er Sheriff Wilson vermutete. Wilson war verschwunden. Nirgends konnte er ihn erblicken. Dafür wurde seine Aufmerksamkeit vom Altar angezogen. Nun sah er, was die Kerzen erleuchteten. Ein großes Buch, das aufgeschlagen von brennenden Kerzen umringt wurde. Eilends wandte Svensen sich der Treppe zu. Zwei Stufen auf einmal auslassend stürmte er hinunter, der Mauer entlang auf den Eingang des Glockenturmes zu.
„Sheriff Wilson“, rief er leise. Keine Antwort. „Wilson, wo sind Sie?“
Weitere Kostenlose Bücher