Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
wiederholte er etwas lauter. Außer seiner eigenen Stimme, die sich an den Wänden brach, war nichts zu vernehmen.
„Verdammt!“ Die Tür zum Glockenturm stand noch offen. Zu dunkel, um etwas erkennen zu können. Den Revolver im Anschlag eilte er auf den Altar zu, um sich eine Kerze zu nehmen. Dabei betrachtete er flüchtig das dicke Buch. Die Chronik des Klosters. Aufgeschlagen war die letzte Seite, die von Bifezius beschrieben worden war. Ohne es eigentlich zu wollen, begann er die wenigen Zeilen zu lesen.
„Es ist die Zeit der Wahrheit, die letzte Stunde dieser Zeit. Pontakus ist ein Narr. Er will sie retten, diese Erde. Retten vor der Wahrheit, die er niedergeschrieben hat. Wiederkommen will er. Wiederkommen, um sein Werk zu vollbringen. Dieser Narr. Niemals hat er begreifen mögen, daß das Böse der Ursprung des Daseins ist. Das Böse, das Immerwiederkehrende. Das Böse –“ An dieser Stelle war das Geschriebene unterbrochen. Svensen las es nochmals und nochmals. Er bemerkte nicht, wie jemand durch den Eingang des Glockenturmes trat. Erst als Wilson dicht neben ihm stand, schreckte er auf.
„Mein Gott, wo sind Sie gewesen?“ starrte er ihn an.
„Mir war, als hätte ich jemanden an der Tür vorbei auf den Turm laufen sehen“, antwortete Wilson leise. Gleichzeitig blickte er auf den Foliant. „Die Zeit der Wahrheit“, flüsterte er die Worte, nachdem er es gelesen hatte. „Die letzte Stunde dieser Zeit.“
„Verstehen Sie das?“ fragte Svensen darauf.
„Wer ist Pontakus?“ stellte Wilson eine Gegenfrage.
„Seltsamer Name“, erwiderte Svensen. „Mir ist, als hätte ich ihn schon einmal irgendwo gehört.“
„Eben wollte ich auf den Turm“, sagte der Sheriff. Dabei warf er einen Blick auf den Eingang des Glockenturmes. „Habe im Auto meine Taschenlampe liegen gelassen. Ich nehme an, Sie haben da oben nichts Auffälliges entdeckt.“
„Nicht die geringste Spur.“
„Unter dem Altar befindet sich eine Öffnung.“ Wilson bückte sich, um das Tuch ein wenig anzuheben. Ein kalter Luftzug hauchte ihm ins Gesicht. Schwarz gähnte ihm die Öffnung entgegen. „Ich glaube nicht, daß sich dort unten jemand befindet.“
Svensen musterte das quadratische Loch. Ein eigenartiges Gefühl überkam ihn, als auch ihm der kalte Luftzug ins Gesicht wehte. „Und dort unten haben Sie den Pater –?“ fröstelnd wandte Svensen sich ab zur Seite.
„Reden wir nicht darüber“, wehrte Wilson ab. „Schlage vor, wir nehmen uns jeder eine Kerze und sehen auf dem Turm nach.“
„Bevor es vollends dunkel wird“, stimmte Svensen zu. Wilson stieg voraus. Die brennende Kerze in der linken Hand, den Revolver schußbereit in der rechten. Svensen folgte ihm in einem Abstand von vier Stufen. Ein Drittel der Treppe hatten sie hinter sich, als Svensen plötzlich ein merkwürdiges Zischen hinter sich vernahm. Abrupt drehte er sich um. Der Schein des Kerzenlichtes reichte nicht sehr weit. Nervös richtete er den Revolver in das Leere unter sich. Wilson hatte nichts davon bemerkt. Ihr Abstand vergrößerte sich um einige Stufen. Schnell wandte Svensen sich um, wollte den Abstand wieder verringern, da vernahm er wieder dieses Zischen. Diesesmal um einiges deutlicher, als sei es nur eine Armlänge von ihm entfernt. Svensen zog hörbar den Revolverhahn nach hinten. Das Klicken klang so, als würde es zwischen dem Gemäuer um ein vielfaches verstärkt. Auf einmal verspürte er einen leichten Wind, der die Flamme seiner Kerze wild umhertanzen ließ. Schützend legte Svensen die Hand davor. Die Hand, in der er den Revolver hielt. Zu spät. Jäh wurde der Wind so stark, zu stark, daß die Flamme hätte dagegen ankommen können. Augenblicklich wurde es stockdunkel um ihn herum. Ängstlich blickte Svensen um sich, tastete nach der Mauer, um diese als Anhaltspunkt zu nehmen. Mit dem Rücken lehnte er sich dagegen, klemmte die Kerze unter seinen Arm. Mit der freien Hand suchte er in den Taschen nach seinem Feuerzeug. Heißes Wachs lief ihm dabei über den Handrücken. Svensen kamen die Sekunden wie eine Ewigkeit vor. Nirgends konnte er das Feuerzeug finden. Doch! In der Innentasche seines Dienstanzuges. Zitternd holte er es hervor. Nach mehrmaligen Versuchen, das Einwegfeuerzeug zu entzünden, flammte es auf.
„Hallo, Keith“, flüsterte plötzlich eine Stimme direkt vor ihm. Svensen blickte auf. Momentan erstarrten seine Glieder, das Feuerzeug fiel ihm aus den Fingern. Etwas starrte ihn an. Etwas, das nichts mit einem
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