Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
beim Vorbeilaufen an der Kirche eine Stimme vernommen. Nachdem sie sich im Schülerhaus verabschiedet hatten, machte Ellinoy kehrt und schlich sich in die Kathedrale. Nur Sekunden darauf betrat auch Rouven das Gotteshaus. Daher war es Pater Richmon entgangen, daß zwei die Kirche betraten. Detailliert schilderte er seinen Freunden, was er in der Kathedrale erlauscht hatte. Mit jedem Wort wuchs ihre Begeisterung über Ellinoys Erlebnis.
„Verdammt!“ fluchte Dumpkin, als Ellinoy geendet hatte. „Und du bist dir sicher, daß er dich nicht erkannt hatte?“
„Ganz sicher“, bestärkte Ellinoy. „Die Pause ist gleich zu Ende“, sagte er darauf. „Treffen wir uns nach dem Mittagessen vor dem Speisesaal.“ Kaum hatte er ausgesprochen, erscholl das Zeichen für den Unterrichtsbeginn. Dumpkin konnte seinem Freund nicht mehr mitteilen, daß Rouven bei ihm in der Klasse war.
Sehnlichst warteten sie darauf, daß der Unterricht endlich vorbeigehen würde. Dumpkin musterte Rouven nun mit anderen Augen. Er war sich nicht schlüssig, ob er ihn nun als Feind oder als Freund ansehen solle.
Mr. Larsen, der das Fach Mathematik unter sich hatte, beendete den Unterricht eine Viertelstunde früher als gewöhnlich. Ein allgemeiner Jubel ertönte durch die Klasse. Diesesmal hatte es Dumpkin nicht so eilig, das Klassenzimmer zu verlassen. Er wollte Rouven abpassen. Showy gab er das Zeichen, draußen auf ihn zu warten. Dumpkin wartete an der Tür. Rouven erhob sich als letzter von seinem Platz. Mit gesenktem Kopf wollte er den Unterrichtsraum verlassen.
„Du bist neu hier“, sprach ihn Dumpkin an. Rouven blickte auf. Dumpkin erschrak über die vielen Sommersprossen in seinem Gesicht. Rouven gab ihm keine Antwort darauf.
„Weißt du, wo der Speisesaal ist?“ versuchte Dumpkin nochmals ein Gespräch anzufangen. Rouven nickte. Er wollte an Dumpkin vorbei, da hielt dieser ihn fest. „Vielleicht redest du ein anderes Mal mit mir“, versuchte Dumpkin freundlich zu sein. Etwas unsanft ließ er ihn los. Rouven ging unbekümmert weiter. Ärgerlich sah er Rouven hinterher.
„Rotschopf!“ zischte Dumpkin. Mißmutig begab er sich zu Showy. Von weitem hatte dieser den Zwischenfall beobachtet.
„Was war denn los?“ wollte Showy gleich darauf wissen.
„Der soll bloß aufpassen“, gab Dumpkin zurück. „Das nächste Mal hat er eine sitzen!“
Showy blickte Rouven nach. Allein stand Rouven abseits unter einem Baum. Seinen Kopf hielt er immer noch gesenkt. Showy war es, als höre er ihn leise weinen.
Aber nicht nur Showy hatte diesen kleinen Zwischenfall beobachtet. Vom Glockenturm herab überschaute Pater Richmon den Pausenhof. Von seinem Standpunkt aus konnte er sogar problemlos in die verschiedenen Klassenzimmer spähen. Der Zusammenstoß von Dumpkin und Rouven war ihm dabei nicht entgangen.
2. Kapitel
Der Brief
Mehrere Tage seit Rouvens Ankunft sind vergangen. Die Unzertrennbaren haben sich dazu entschlossen, das Buch, aus dem Schwester Maria vorlas, nicht an sich zu bringen. Die Niederschrift des Mönchs, von der Pater Richmon Rouven erzählt hatte, diese wollten sie haben.
Wieder einmal saßen sie in ihrem Lager. Es war Samstag. Das Tor wird am Wochenende erst bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen. Den gesamten Nachmittag hatten sie noch vor sich.
Ellinoy hielt einen abgebrochenen Zweig in der Hand. Gelangweilt stocherte er damit im Erdboden herum.
„Denkt doch mal nach“, sagte er. „Wo würdet ihr ein Buch verstecken.“ Fragend blickte er von einem zum anderen.
„Was machen wir, wenn es dieser Rouven vor uns findet?“ meinte darauf Champy.
„Der Rotschopf?“ stieß Dumpkin abwertend aus. „Hat ihn von euch einmal einer reden hören?“
„Ausgerechnet der soll für das Buch bestimmt sein“, meldete sich nun auch Showy. „An Pater Richmon müssen wir uns halten. Irgendwie müssen wir ihn dazu bringen, daß er uns in der Chronik lesen läßt.“
Ellinoy schüttelte energisch mit dem Kopf. „Dann weiß er gleich, daß es einer von uns gewesen ist, der ihn belauscht hatte.“
„Bestimmt befindet sich das Buch in der Kirche“, äußerte sich Dumpkin. „Wo sollte er es sonst versteckt haben.“
„Oder in einem unterirdischen Gang“, schlug Champy vor. „Jedes Kloster hatte früher einen unterirdischen Gang.“
Ellinoy warf den Ast zu Boden. „So kommen wir nicht weiter“, zischte er. „Ich würde vorschlagen, wir schleichen uns heute nacht in die Kirche. Zwei stehen Schmiere und die anderen
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