Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
Tod so nah, daß der Wahnsinn, der in dir steckt, diesen Akt selbst vollführen wird . Zwei Tage sind vergangen, da wurde der Unbekannte erhängt an einem Baum aufgefunden. Er hatte sich das Leben genommen.“ Bei den letzten Worten blickte der Pater auf die hinterste Bankreihe. Von Ellinoy zu Champy, dann zu Showy und letztlich zu Dumpkin. Danach wandte er sich um. Durch ein Zeichen signalisierte er Schwester Maria, mit der Musik zu beginnen. Noch zwei Lieder wurden gesungen, das Vaterunser gebetet, wonach der Gottesdienst zu Ende war. Es wurde laut in der Kirche. Dumpkin blickte Ellinoy fragend an. Ellinoy zuckte nur mit der Schulter.
„Erst mal raus hier“, flüsterte Ellinoy. Dumpkin nickte. Langsam wandte er sich um. Seine Blicke suchten Melanie. Sie war schon verschwunden. Auch vor der Kirche konnte er sie nirgends entdecken.
„Der hat uns gemeint“, sagte Champy, als sie zusammenstanden. „Habt ihr bemerkt, wie er uns angesehen hat?“
Showy zog eine kleine Papiertüte aus der Tasche. „Ich hab ganz schön Hunger bekommen“, murmelte er. Mit einem Bissen hatte er schon das halbe Marmeladebrot im Mund. Lautstark schluckte er es hinunter.
Dumpkin blickte über Showys Schulter hinweg auf den Eingang der Kirche. Sallivan verließ eben die Kathedrale.
„Da kommt der Pfeifer“, flüsterte er. Dicht hinter Sallivan betrat auch Rouven das Freie. Sallivan drehte sich nach Rouven um. Freundlich klopfte er ihm auf die Schulter. Er sagte ein paar Worte zu Rouven, die Dumpkin jedoch nicht verstehen konnte. Grimmig blickte Dumpkin auf Ellinoy.
„Heute nacht, um punkt zwölf Uhr“, zischte er. Ellinoy nickte nur.
*
Die Dunkelheit hatte das Tageslicht längst verdrängt. Keine Menschenseele war auf dem Internatshof zu sehen. Vorsichtig schlich sich Ellinoy in die Nähe der Kirche. Ein Blick auf die Turmuhr, die vom Schein des Vollmondes erhellt wurde, sagte ihm, daß es noch eine starke Stunde bis Mitternacht ist. Ellinoy hatte Pater Richmon beobachtet, wie er mit Schwester Maria die Kathedrale verließ und im Lehrerhaus verschwunden war. Bisher war der Pater noch nicht zurückgekehrt. Am liebsten wäre er allein in die Kirche eingedrungen, aber das war zu gefährlich, da Pater Richmon jeden Augenblick zurückkehren konnte. Daher verschanzte sich Ellinoy wieder in demselben Gebüsch, in dem er sich schon einmal vor dem Pater versteckt hatte. Nur schleichend vergingen die Minuten. Es war ihm, als sei eine Ewigkeit vergangen, als endlich die Glocke zu schlagen begann. Ellinoy zählte auf drei. Noch eine Viertelstunde, dann wird es soweit sein. Auf einmal vernahm er nicht weit von sich ein Geräusch. Wie wenn jemand auf dem Boden scharren würde. Ellinoy blickte vorsichtig aus seinem Versteck. Nichts Ungewöhnliches war zu sehen. Zehn Minuten vergingen. Plötzlich wieder das scharrende Geräusch. Diesesmal war es um einiges näher. Ellinoy lief es eiskalt über den Rücken. Schritte kamen auf ihn zu. Direkt vor seinem Versteck verstummten sie. Er getraute sich nicht, sich zu bewegen. Durch das Gebüsch hindurch konnte er eine dunkle Gestalt erkennen. Nur für einen Moment blieb sie stehen, dann bewegte sie sich weiter. Ein Bein hinterherschleifend.
Mitternacht. Der zwölfte Schlag verklang. Behutsam wollte Ellinoy sein Versteck verlassen. Ein mächtiger dumpfer Ton, der vom Glockenturm herrührte, ließ ihn erzittern.
„Dreizehn“, flüsterte Ellinoy zu sich. „Die Uhr hat dreizehn geschlagen.“
Wieder kamen Schritte auf ihn zu. Gleichzeitig vernahm er die Stimme Dumpkins.
„Seltsam“, sagte er. „Mir war, als hätte die Uhr dreizehnmal geschlagen.“
Ellinoy trat aus dem Gebüsch. Showy zuckte ruckartig zusammen, als plötzlich Ellinoy vor ihnen stand.
„Wo kommst du denn her?“ fragte Showy ihn mit zitternder Stimme.
„Ich sitze schon über eine Stunde in dem Gebüsch“, antwortete Ellinoy. Nervös blickte er um sich. „Habt ihr niemanden gesehen?“, fragte er leise.
„Nein“, schüttelte Showy den Kopf.
„Wo ist Champy?“ fragte Dumpkin, der seinen Schreck sehr gut verbergen konnte. „Wir dachten, er sei bei dir.“
„Kurz bevor ihr gekommen seid, stand jemand direkt vor dem Gebüsch“, erwiderte er. „Ihr müßtet ihn doch gesehen haben.“
„Da war niemand.“ Dumpkin zuckte mit der Schulter.
„Na endlich“, sagte auf einmal eine Stimme hinter ihnen. Champys Stimme. Er war ganz außer Atem. „Dachte schon, ihr seid schon in der Kirche“, schnaufte er.
„Vielleicht
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