Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
für Schritt näherte Rouven sich dem Altar, bestieg das Podest und wandte sich dem Gemälde zu. Rouven betrachtete das Bild, als würde er eine Antwort auf all seine Fragen darin finden. Die Minuten verstrichen, ohne daß Rouven sich regte. Plötzlich, ein lautes Geräusch riß ihn aus seinen Gedanken. Es rührte vom Eingang der Kirche her. Darauf ein leises Zischen, wie wenn jemand in sich hineinfluchen würde. Rouven zögerte nicht lange. Geistesgegenwärtig schlich er sich in den Aufgang des Glockenturmes, die Tür einen Spalt offenlassend, so daß er den erleuchteten Teil gut beobachten konnte.
Zwei Gestalten traten aus dem Dunkeln in den Schein des Kerzenlichts. Ellinoy und Dumpkin. Geradewegs begaben sie sich auf den Altar zu. Ellinoy hielt eine Taschenlampe in der Hand. Mit dieser leuchtete er unter den steinernen Tisch.
„Da sind Stufen“, rief er leise aus. Dumpkin kniete sich neben ihn. Kurz darauf verschwanden beide hintereinander in der Öffnung. Rouven wartete darauf einige Augenblicke, bevor er sein Versteck verließ. Leicht bewegte sich noch das große Tuch, von dem der Altar beinah vollkommen bedeckt wurde. Dumpfe Geräusche hallten darunter herauf. Kurz entschlossen griff Rouven nach einer Kerze. Stufe für Stufe stieg er die Öffnung hinab. Die Luft wurde kalt. Als er den Boden erreicht hatte, blickte er erst einmal um sich.
Die Öffnung war das Ende eines langen Ganges, der sich in das Endlose zu erstrecken schien. Der Boden bestand teils aus Lehm, teils aus massivem Fels. Die Wände eng beieinander sind zu einem Gewölbe gemauert worden.
Von weit entfernt hallten Geräusche an sein Ohr. Rouven wußte, er mußte sich beeilen, um als erster das Buch zu erlangen. Sollte es in falsche Finger geraten, er hätte es sich niemals verzeihen können. Zu sehr hatten sich die Worte seines Vaters in ihn eingeprägt.
So schnell er konnte bewegte Rouven sich den Gang entlang. Zwanzig Schritte hatte er gezählt, da wurde das Gewölbe breiter. Rouven blieb stehen. Angestrengt horchte er in das Dunkel vor ihm. Immer noch waren diese Geräusche zu vernehmen. Er zählte nochmals zwanzig Schritte, da befand sich rechter Hand ein zweiter Gang, der rechtwinklig auf diesen traf. Wieder blieb Rouven stehen. Die Luft wurde immer kälter. Auf einmal verspürte er einen starken Hauch im Gesicht. Schützend hob er seine Hand vor die Kerze, die wild aufzuflackern begann. Vorsichtig betrat er diesen Gang. Die Geräusche vor ihm kamen ebenfalls aus diesem Gewölbe. Plötzlich sah er ein bewegliches Licht wenige Meter vor sich. Ellinoys Taschenlampe, der etwas abzusuchen schien. Rouven ging einige Schritte zurück, so daß er nicht gesehen werden konnte. Krampfhaft überlegte er, was er nun unternehmen solle.
„Verdammt kalt“, hörte er Dumpkin flüstern.
„Möchte nur wissen, wo der Wind auf einmal herkommt“, erwiderte Ellinoy.
„Meinst du, wir sind hier richtig?“ fragte Dumpkin nach einer Weile.
„Denke schon“, antwortete Ellinoy nachdenklich. „In dem Brief stand, unter der sechsundsechzigsten Stufe. Meiner Meinung nach befinden wir uns direkt unter dem Turm. Irgendwo hier muß es also sein.“
„Vielleicht eingemauert“, erwiderte Dumpkin. Mit der Faust klopfte er gegen die Wand. Sie klang hohl.
Ellinoy horchte auf. „Hast du das gehört?“ fragte er erregt. Dumpkin klopfte nochmals, nur etwas stärker. Eindeutig konnten sie es vernehmen. Ein dumpfer hohler Ton. Derselbe Ton erklang auch weiter rechts sowie auch etwas weiter links. Fiebrig versuchte er durch ständiges Klopfen die Größe des vermeintlich verborgenen Raumes festzustellen. Er hatte die Ausmaße einer niedrigen Tür, wie er bald herausfand. In Dumpkins Augen schimmerte ein triumphierendes Leuchten.
Rouven hatte jedes Wort deutlich verstehen können. Durch den Luftzug, der ständig in den Gängen herrschte, war seine Kerze bis auf ein weniges niedergebrannt. Lange würde es nicht mehr dauern, dann wäre er vollkommen ohne Licht.
„Paß auf“, vernahm er Ellinoys Stimme. „Ich stemme mich gegen die Wand, vielleicht gibt sie nach.“
Unweigerlich mußte Rouven daran denken, daß ihn sein Vater vor den Tücken des unterirdischen Ganges ausdrücklich gewarnt hatte. Obwohl auch sie den Brief gelesen hatten, bei ihnen hatte die Warnung fehlgeschlagen.
„Jetzt!“ zischte Ellinoy. Mit aller Kraft drückte er seinen rechten Fuß gegen die Mauer. Jedoch ohne Erfolg.
„Verflucht!“ zürnte er. Wütend wollte er gegen die Mauer
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