Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
Ellinoy. „Als wir das erste Mal hinauf sind, habe ich die Stufen gezählt. Es sind genau sechsundsechzig.“
Dumpkin sah ihn nur an, grinste und wandte sich der Treppe zu. Anfangs nahm er zwei Stufen auf einmal, doch bald schon war der Schmerz in seiner Hand nicht mehr auszuhalten. Der notdürftige Verband war fast vollkommen blutdurchtränkt. Er mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht lauthals vor Schmerz loszuschreien.
Ellinoy leuchtete das Treppenhaus ab. Immer wieder hatte er das beklemmende Gefühl, verfolgt zu werden. Verfolgt von etwas, das ihn jeden Augenblick packen und in einen tiefen Abgrund werfen wollte. Grausame Gedanken spiegelten sich in seinem Inneren wider. Gedanken, die den Tod in all seinen erschreckenden Formen wiedergab. Das Gesicht gehörte in allererster Front dazu.
Die Abstände, in denen er sich umblickte, wurden von Stufe zu Stufe kürzer. Blickte er sich um, durchleuchtete seine Lampe nur gähnende Leere.
Endlich hatten sie die letzte Stufe erreicht. Erschöpft ließ sich Dumpkin darauf nieder.
„Nun das Buch“, keuchte er. Den Schmerz versuchte er zu ignorieren, doch das pulsierende Pochen ging ins Unermeßliche. Krampfhaft versuchte er sein Taschenmesser aus seiner Hosentasche herauszunehmen. Ellinoy musterte ihn mit besorgniserregenden Blicken.
„Deine Wunde“, sagte er bedenklich. „Sie ist zu tief.“
„Erst das Buch“, erwiderte Dumpkin. „Wir müssen nachsehen, ob sich die Stufe irgendwie öffnen läßt.“ Dumpkin kniete sich auf den vorletzten Tritt. Mit dem Ellenbogen der verletzten Hand stützte er sich ab. Ellinoy kauerte sich neben ihn. Mit der Taschenlampe beleuchtete er Zentimeter für Zentimeter das Holz. Dumpkin strich mit dem Finger darauf entlang. Plötzlich hielt er an der äußeren Kante des Trittes inne.
„Hier ist etwas“, rief er leise aus. Mit leichtem Druck fuhr er über die Stelle.
Ellinoy tat ihm nach. „Etwas uneben“, bemerkte er.
Dumpkin begann, mit dem Messer darauf zu kratzen. Zuerst geschah nichts. Doch auf einmal, als er etwas stärker scharrte, fing das Holz an, sich zu verändern. Eine Struktur schimmerte darunter hervor.
„Ich glaub’, wir sind richtig“, triumphierte Dumpkin. Die Struktur wurde deutlicher, je mehr er von der Oberfläche des Holzes abscharrte. Als Dumpkin der Meinung war, die Struktur vollkommen befreit zu haben, legte er sein Messer auf die Seite. Sachte fuhr er mit seinem Finger darauf entlang. Ein Balken senkrecht, auf dem genau mittig ein Balken waagerecht gesetzt war. Auf diesem waagerechten Balken befand sich ein Kreis, der wiederum genau die Mitte berührte.
„Vermutlich eingebrannt“, meinte Dumpkin.
„So alt, wie das aussieht, war das bestimmt der Mönch“, erwiderte Ellinoy.
„Bestimmt hat es etwas mit dem Buch zu tun.“ Dumpkin griff unter das Holz, das fingerbreit vorsprang. Zaghaft begann er daran zu ziehen. Ellinoy rutschte an Dumpkin vorbei, so daß er unter den Tritt blicken konnte.
„Zieh mal etwas stärker“, forderte er seinen Freund auf. Er nahm das Messer und fuhr mit der Spitze in den Spalt, der durch das Ziehen entstanden war. Vorsichtig trieb Ellinoy die Klinge tiefer in den Zwischenraum.
„Noch stärker!“
Dumpkin stand auf, um sein gesamtes Gewicht einzusetzen. Das laute Knarren des Holzes hielt ihn nicht davon ab. Spürbar merkte er, wie sich der Tritt von seinem Unterbau löste. Ellinoy kam ihm zu Hilfe, indem er von unten dagegendrückte. Der Spalt wurde größer. Mit einem Male barst das Holz auseinander. Durch die Wucht verlor Dumpkin das Gleichgewicht. Unsanft fiel er zu Boden. Schmerz zuckte durch seinen Arm. Gerade noch konnte er einen Schrei unterdrücken. Der provisorische Verband war verrutscht. Sofort floß wieder Blut aus der Wunde. Ellinoy sprang zu ihm.
„Scheiße!“ fluchte er nur. Sachte schob er die Bandage wieder über die Verletzung. Dumpkin zitterte.
„Sehen wir nach“, brachte er nur mühevoll hervor. Ellinoy blickte ihn an.
„Der Verband ist zu wenig“, sagte er. Langsam knöpfte er sein Hemd auf und zog es aus. Mit dem Messer trennte er beide Ärmel ab, faltete den einen in der Länge zusammen, um ihn als Wickel verwenden zu können.
„Deine Finger“, flüsterte Ellinoy, „kannst du sie bewegen?“
„Ich glaube nicht“ schüttelte Dumpkin seinen Kopf. Etappenweise versuchte er, eine Faust zu ballen. Der Schmerz drückte ihm Tränen in die Augen. Nur ein wenig hatte er seine Finger bewegt, da gab er schon auf. „Geht
Weitere Kostenlose Bücher