Das Buch der Sünden
Flut überströmt mich …»
Es sind Munkis, dachte Helgi entsetzt. Ich sitze mit lauter Christen in einem Boot!
Gebete murmelnd, erreichten sie die Landebrücke. Nachdem die Brüder den Kahn verlassen hatten, ruderte Helgi wieder hinaus.
Die Stimme des Alten verfolgte ihn: «Lass mich Rettung finden vor denen, die mich hassen, und aus den Wassertiefen, dass mich die Wasserflut nicht überströmt und mich die Tiefe nicht verschlingt …»
Als Helgi kurz darauf den Bruder an seine Gefährten übergeben hatte, bestürmten die Männer ihren Retter. Sie umarmten Helgi, küssten ihn, riefen ihm Dankesworte zu. Dann trat der Alte vor ihn und streckte seine knochigen Hände nach ihm aus.
«Wie lautet dein Name?», fragte er.
Helgi erkannte den Akzent der
Frankar,
der Franken. Das Gesicht des Alten war faltig, aber mit feinen Zügen gezeichnet; seine Nase war spitz und sein Kinn kantig.
«Ich heiße Helgi, ich bin der Sohn des Schmieds Einar aus Haithabu.»
Der Munki nickte. «Du hast uns vor dem Untergang bewahrt, Einars Sohn.»
Er öffnete einen Beutel, der an der Kordel seiner tropfnassen Kutte hing. Darin klimperte mindestens ein Dutzend Münzen.
Helgi schnappte nach Luft. Mit diesem Geld und den Münzen von Ingvar würde er dem Priester das Eisen abkaufen können. Doch der Alte zählte Helgi lediglich dreiMünzen in die Hand. Helgi war enttäuscht. Das war zu wenig, viel zu wenig! Auch wenn der Mann die Schuld mit dieser Summe angemessen beglichen hatte.
Als Helgi wieder aufschaute, war der Munki verschwunden. Er wandte sich an einen der anderen Männer. «Wo ist er hingegangen?»
«Wer?»
«Der alte Mann.»
«Das ist Ansgar, unser Priester.»
Noch ein Priester, dachte Helgi. Er glaubte, den Namen schon einmal gehört zu haben.
«Kennst du ihn nicht?», fragte der Mann.
Helgi zuckte mit den Schultern.
«Ansgar hat einst die Kirche von Haithabu errichtet.»
Helgi nickte verstehend. Jetzt fiel ihm wieder ein, dass Gullweig ihm einmal von dem Gotteshaus erzählt hatte.
«Mein Name ist Perm», fuhr der Mann fort. «Ich habe Ansgar nach Birka in Schweden auf seiner Missionsreise begleitet, zu der wir vor nunmehr zwei Jahren aufgebrochen sind.»
Perm machte ein betrübtes Gesicht. «Doch nun kehren wir nach Haithabu zurück, nachdem man uns mit Schimpf und Schande aus Birka fortgejagt hat. Wie Abschaum haben die Svea uns behandelt, denn sie sind nicht bereit für Gottes Wort …»
Während Perm von seinen leidvollen Erfahrungen berichtete, schweiften Helgis Gedanken zum Geld des Priesters. Zwölf Münzen – mindestens! Ihm wurde bewusst, dass von dem Geld alles abhing: sein eigenes Leben, das seiner Mutter – und das von Rúna!
Er warf einen Blick zu der im Dunkeln liegenden Stadt und fragte Perm: «Wo kann ich den Priester finden?»
Perm überlegte kurz. «Vielleicht ist er zu seiner Klause gegangen, um dort allein zu beten.»
«Klause?»
«Das ist eine abgelegene, kleine Hütte.» Perm streckte den Arm aus und deutete nach Süden. «Sie steht im Wald, bei den Überresten der alten Stadt.» Dann wandte er sich an die anderen Munkis und forderte sie auf, ihm zur Gemeinde zu folgen.
Als die Christen fort waren, blieb Helgi unschlüssig zurück. Was sollte er nur tun? Er wusste nun, wo es das kostbare Eisen gab, aber er hatte nicht genug Geld, um es zu kaufen. Sollte er es etwa stehlen? Nein, so etwas kam nicht in Frage. Er war Schmied, kein Dieb. Seine Eltern hatten ihn dazu erzogen, das Hab und Gut anderer Menschen zu achten.
Aber vielleicht würde der Munki ihm das Geld leihen. Hieß es nicht immer, dass diese Männer außerordentlich mitfühlend und hilfsbereit seien? Und er hatte doch selbst gesehen, wie sie ihr Essen mit den Armen teilten. Je länger Helgi darüber nachdachte, desto mehr kam er zu der Überzeugung, dass er zumindest versuchen musste, den Priester um das Geld zu bitten.
Den Kopf voller Gedanken, machte Helgi sich auf den Weg. Es war noch immer stockfinster. Erst in einigen Stunden würde die Sonne aufgehen. Aber er glaubte, die alte Stadt trotzdem finden zu können.
Er lief durch die Gassen, bis er an der Brücke nach Süden abbog. Kurz darauf kam er am Sklavenviertel vorbei, über dem noch der säuerliche Brandgeruch lag, der ihn an jenen Tag erinnerte, an dem er Rúna aus der brennenden Baracke gerettet hatte. Er ging weiter, bis er den Pfad entdeckte, der in den Wald führte. Unter den Bäumen war esstill, nur seine eigenen Schritte waren zu hören. Hin und
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