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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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wieder knackte ein Ast unter seinen Füßen. Einmal schrie ein Käuzchen, ein anderes Mal brach ein dunkler Vogel flügelschlagend durch die Wipfel.
    Je näher Helgi der alten Stadt kam, desto größer wurden seine Zweifel. Er hatte sich fest vorgenommen, den Munki zu überreden, ihm das Geld zu leihen. Doch was, wenn dieser es nicht tat? Nein, das durfte nicht geschehen! Helgi brauchte das Geld. Dringend!
    Er war etwa eine Meile tief in den Wald eingedrungen, als ihm der Geruch von Rauch in die Nase wehte. Bald stieß er auf eine Lichtung, die er als den alten Siedlungsort erkannte. Man erzählte sich, dass hier vor vielen Jahren Menschen vom Volk der Svea ein Dorf gegründet hatten. Immer mehr Menschen kamen hinzu, und aus dem Dorf wurde eine kleine Stadt, die bald an ihre Grenzen stieß. Irgendwann entschlossen sich die Bewohner, am Bachlauf weiter nördlich eine neue Stadt zu gründen: Haithabu.
    Helgi trat auf die Lichtung, auf der noch vereinzelt die Pfähle der inzwischen zerfallenen Häuser im Erdboden steckten. Die Holzreste waren von Unkraut überwuchert.
    Über dem Dach einer winzigen Hütte am anderen Ende der Lichtung stieg heller Rauch empor. Gleich neben der Hütte stand eine Eiche, die ihre Äste über das Dach streckte. Helgi war dieser Verschlag nie zuvor aufgefallen. Aber es war auch etliche Jahre her, seit er das letzte Mal mit Ingvar hier gewesen war.
    Aus dem Häuschen drang Gemurmel.
    Helgi hangelte die Eiche hinauf, kletterte bis zu einem kräftigen Ast und rutschte darauf bäuchlings über die Hütte. Direkt unter ihm befand sich im Dach ein gut drei Fuß breites Loch, durch das er den Alten sah. Der Munkihockte neben einem Feuer. Er war völlig nackt, und Helgi bekam Mitleid mit dem Priester, als er den ausgemergelten Körper sah. Unter der Haut spannten die Knochen. Der Rücken war gebeugt, die Schultern hingen herab. Leise murmelnd nahm der Munki eine Haselnussgerte und begann, sie sich über den Rücken zu schlagen. Zunächst sachte, dann immer härter, bis das Blut aus den Striemen quoll.
    Helgi schaute ihm ungläubig dabei zu. Warum tat sich der alte Mann das an? War er von einem bösen Geist besessen?
    Da erregte ein Glitzern Helgis Aufmerksamkeit, und er beugte sich noch weiter hinab. Sein Gesicht schwebte nun dicht über dem Dach. Auf der anderen Seite des Feuers erblickte er einen Gegenstand, der im Feuerschein funkelte. Helgi erstarrte. Es war ein Kreuz, das etwa so groß wie eine Männerhand war und sehr wertvoll zu sein schien. Vermutlich bestand es aus reinem Silber. Die Oberfläche des Kreuzes war mit Rankenmustern versehen. An den Längs- und Querarmen waren Medaillons befestigt. Eine Figur mit ausgebreiteten Armen war mittig auf das Kreuz genietet.
    Der Alte, der sich noch immer auspeitschte, begann mit einem Mal zu rufen: «Eile, o Gott, mich zu retten, o Herr, mir zu helfen! Es sollen sich schämen und schamrot werden, die mir nach dem Leben trachten; es sollen zurückweichen und zuschanden werden, die mein Unglück suchen. Es sollen sich zurückziehen wegen ihrer eigenen Schande, die da sagen: ‹Ha-ha, Ha-ha!›   …»
    Helgi achtete nicht auf die Worte des Munkis, sondern starrte gebannt auf das Kreuz. Es schien so kostbar zu sein, dass er dafür genug Eisen kaufen und somit all seineProbleme lösen könnte. Doch würde der Munki es ihm überlassen   …?
    Da ging plötzlich ein heftiger Ruck durch den Ast, an dem Helgi hing. Es folgte ein lautes Knacken. Zu spät erkannte Helgi, dass er sich zu weit vorgewagt hatte. Bevor er sich zurückziehen konnte, zerbrach der Ast unter seinem Gewicht. Helgi stürzte durch das Dach und traf hart auf dem festgestampften Boden auf. Blitze durchzuckten seinen Kopf.
    Aus weiter Ferne vernahm er einen entsetzten Schrei. Dann umhüllte ihn tiefe Dunkelheit.

42.
    Odo kniete im Chor seiner Kirche und kochte vor Wut.
    Mitten in der Nacht waren ein Däne und sieben Männer vom Volk der Svea in der Gemeinde eingetroffen. Sie hatten behauptet, mit einem Priester namens Ansgar von einer Missionsreise zurückgekehrt zu sein. Ihr Schiff sei im Hafen gesunken, allerdings habe ein junger Däne sie retten können. Ansgar sei zwar verschwunden, aber er werde sicher in Kürze nachkommen.
    Odo schlug mit der Faust auf den Steinfußboden. Der alte Narr Ansgar hatte es tatsächlich nach Haithabu geschafft, bevor alles vollendet war. In wenigen Tagen sollte das Dachwerk der Kirche geschlossen und der Altar aufgestellt werden.
    Nur noch wenige Tage! Der

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