Das Buch der Sünden
entfachte.
«Kennst du keine Kräuter, die seine Beschwerden lindern könnten?», fragte Helgi.
«Natürlich. Jede Frau auf Rujana weiß, welche Mittel gegen die Seekrankheit helfen.»
«Dann gib ihm doch diese Kräuter.»
Teška zog die Augenbrauen zusammen. «Warum sollte ich das tun? Der alte Mann hat mein Volk beleidigt.»
«Aber er wird uns nur aufhalten, wenn er richtig krank wird.»
«Es war seine Entscheidung, uns zu begleiten.» Sie verdrehte die Augen, erhob sich und stapfte davon.
Es war bereits dunkel, als sie mit den Händen voller duftender Kräuter zum Feuer zurückkehrte. Sie füllte Wasser in einen Topf, wartete, bis es kochte, und warf dann die Pflanzen hinein. Nachdem der Sud abgekühlt war, brachte sie ihn zu Ansgar. Wortlos überreichte sie ihm den Topf und ließ den Alten wieder allein.
Es dauerte nicht lange, bis Ansgar am Lagerfeuer erschien. Er sah zwar noch immer ungesund aus, aber sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Der Alte lächelte milde. «Darf ich mich zu euch setzen?», fragte er leise.
Helgi nickte, während Teška unwillig zur Seite rückte.
Ansgar stellte den Topf neben dem Feuer ab. Er hatteihn bis auf den Boden geleert. «Ich möchte dir für deine Hilfe danken», sagte er zu Teška.
Sie reagierte nicht, sondern starrte ins Feuer.
Da wandte sich Helgi an Ansgar. «Kannst du deinen Gott nicht darum bitten, dass er uns einen Westwind schickt?»
Ein vages Lächeln umspielte Ansgars schmale Lippen. «Das habe ich bereits getan.»
«Und wann kommt endlich der Wind?»
«Wenn Gott will.»
Diese Antwort empfand Helgi als äußerst unbefriedigend. Ein bisschen mehr Unterstützung hätte er von dem mächtigen Gott schon erwartet.
Ansgar stocherte mit einem Stock in der Glut herum. Funken stoben auf. «Du warst sehr tapfer, junger Däne. Deine Kraft hat uns bereits bis in das Land der Slawen gebracht.»
Er zeigte mit dem angekokelten Stock in die Nacht. «Am Fuß dieser keilförmigen Meeresbucht mündet ein Fluss namens Sventine in das Baltische Meer. Dieser Flusslauf trennt das Gebiet der Sachsen von dem der Sclavi. Diese Grenze, der Limes Saxoniae, wurde einst von Kaiser Karl dem Großen, dem Imperator Carolus Magnus, festgelegt. Östlich dieser Grenze leben verschiedene slawische Stämme. Einige von ihnen haben sich zu einem großen Verband zusammengetan, den Obodriten. Sie haben sich nach einem Gott benannt, den sie Obodr nennen, das heißt: der Wachsame …»
Während Ansgar sein Wissen über die Slawen ausbreitete, fielen Helgi die Augen zu. Er streckte sich am Feuer aus und träumte von den Göttern. Von einem Gott namens Obodr und von dem, zu dem der Alte betete, Jesus.
Obodr, Jesus, die Ranengötzen – in Helgis Traum kamen alle diese Götter zusammen, um auf Asgard in der Walhalla ein riesiges Gelage zu feiern.
Den Vorsitz über alle Götter aber hatte Odin inne.
Mitten in der Nacht erwachte Helgi.
Das Feuer glomm noch, aber Teška und Ansgar schliefen. Helgi rieb sich mit dem Handrücken über die Augenlider. Alles schien wie immer. Am Himmel funkelten die Sterne. Der Mond hing über dem Meer. Die Luft roch würzig nach Salzwasser und Seetang. Dennoch glaubte Helgi, dass sich irgendetwas Grundlegendes verändert hatte.
Sie hatten ihr Lager unterhalb einer Erhebung an der Küste eingerichtet, um vor dem Wind geschützt zu sein. Als Helgi sich erhob, fuhr ihm eine Böe ins Gesicht, und da wusste er Bescheid.
Er lief zum Wasser hinunter. Die Wellen, die am Abend vom ablandigen Wind niedergedrückt worden waren, rollten nun deutlich hörbar am Strand aus. Im Mondschein blitzten Wellenkämme auf. Helgi leckte seinen Zeigefinger an und hielt ihn hoch, um die Windrichtung festzustellen. Ja, kein Zweifel, der Wind hatte gedreht und wehte nun aus westlicher Richtung.
Hinter Helgi knackte ein Ast, als Ansgar zu ihm trat.
«Dein Gott hat den Westwind geschickt», stellte Helgi anerkennend fest.
Ansgar nickte. «Dann werde ich euch von nun an ohne Widerstand begleiten. Ich habe Gott um ein Zeichen gebeten, und hier ist es.»
4.
Am nächsten Morgen hissten sie das Segel, und der Wind trieb sie nach Osten. Das Land zog an ihnen vorüber. Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, änderte sich der Küstenverlauf. Helgi musste das Segel neu ausrichten, da der Wind nun nicht mehr von hinten, sondern von der Seite kam. Aber inzwischen hatte Helgi ein Gefühl für das Segeln entwickelt, und es gelang ihm, das Boot auf Kurs zu halten.
Gegen
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