Das Buch der Sünden
auf der Erde im Kampf gefallenen Krieger tragen polierte Rüstungen, Äxte und Langschwerter.
Ein Lichtstrahl fährt aus Odins Mund. Seine Zähne sind aus Gold. Seine Stimme dröhnt und hallt in der Walhall wider: «Ein Mensch! Aus Midgard, der Welt der Sterblichen. Er begehrt Einlass. Will er an der Schlacht der Schlachten teilnehmen?»
Helgi nickt vorsichtig.
Odin beugt sich vor. Sein Kettenhemd rasselt. «Seht, Krieger! Der Menschenwurm hat eine Wunde. Eine Pfeilwunde.»
Die Krieger umringen Helgi und mustern die Verletzung. Einige nicken durchaus anerkennend, andere furchen die Stirn.
Zwei Raben fliegen in die Walhall. Krächzend lassen sie sich auf Odins Schultern nieder, einer links, der andere rechts. Hugin und Munin, so heißen die Raben. Sie informieren Heervater Odin über die Geschehnisse. Was war, was ist, was kommen wird.
Odin lehnt sich zurück, dreht zunächst das rechte Ohr Hugin, dann das linke Ohr Munin zu. Er lässt Helgi nicht aus dem Auge. Streicht sich über den Bart.
Die Krieger stecken die Köpfe zusammen, murmeln, aber als Odin die Arme hebt, verstummen alle Gespräche. Odin hat sein Urteil gefällt.
Seine Stimme schmettert auf Helgi nieder. «Dieser Mensch ist unwürdig. Ich habe erfahren, dass er auf der Flucht verwundet wurde. Er ist fortgelaufen – anstatt gegen seine Feinde zu kämpfen.»
Die Krieger knurren wütend.
Skauð!
Feigling!
«Erbärmlicher Menschenwurm – ich erwähle nur vom Schwert erschlagene Männer», ruft Odin. «Geh zurück nach Midgard. Töte deine Feinde! Stirb mit dem Schwert in der Hand! Das ist die Prüfung, die ich dir auferlege. Bestehst du sie nicht, verbanne ich dich nach Hel, in das Erdreich. Zu den Niederträchtigen, die an der Schwäche des Alters oder an einer Krankheit gestorben sind. Feiglinge wie du kämpfen nicht in der Schlacht aller Schlachten.»
Da wird Helgi von kräftigen Händen gepackt. Die Krieger verhöhnen ihn lachend. Er wird aus der Walhall geschleift. Man versetzt ihm einen Fußtritt. Er fällt herab, von Asgard, dem Himmelreich, nach Midgard, zur Erde.
Dorthin, wo die Menschen zu Hause sind, die sich noch nicht bewährt haben.
Helgi schreckte hoch, und sofort rasten brutale Schmerzen durch seinen Körper. Sein Bein brannte wie glühende Kohle.
Hel!, war Helgis erster Gedanke. Odin hat mich in die Unterwelt verbannt.
Doch als er die Augen aufschlug, sah er wie durch einen Nebelschleier ein bekanntes Gesicht, das über ihm schwebte. Es gehörte Teška, deren Blick Sorge verriet, aber auch gleichzeitig Erleichterung. Er sah, wie sie ihre Lippen öffnete und seinen Namen rief.
Allmählich nahm Helgi auch seine Umgebung wahr. Blassblau schimmerte der Himmel, unter dem Schwalben im Tiefflug nach Mücken jagten. Nun bemerkte Helgi den Munki, der lächelnd und mit vor der Brust gefalteten Händen zu seinen Füßen saß.
Helgi bat um Wasser. Seine trockene Kehle fühlte sich an wie ein ausgedörrter Acker. Sogleich hielt ihm Teška das Mundstück eines Trinkschlauchs an die Lippen, und er sog gierig daran. Nachdem er getrunken hatte, versuchte er sich aufzurichten. Doch der Schmerz in seinem Bein zwang ihn sofort wieder nieder.
Teška strich ihm zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn. Wenn er still dalag und sich nicht bewegte, war der Schmerz erträglich. Nur sprechen konnte er nicht. Aus seiner Kehle kam nur ein Krächzen.
Teška legte einen Finger an seine Lippen und begann zu erzählen, was geschehen war. Sie berichtete von der Flucht aus Reric und vom Bogenschützen, dessen Pfeil mit Wolfstod vergiftet gewesen sei. Jetzt erinnerte sichHelgi wieder an den großen Mann mit der Wolfsmaske.
Teška zeigte ihm den Pfeil, deutete auf seinen verbundenen Oberschenkel und hielt das Messer mit der schwarzverfärbten Klinge hoch.
«Sie hat dir das Leben gerettet», sagte Ansgar.
Helgi wollte ihr dafür danken, doch sie winkte beiläufig ab. Stattdessen starrte sie den Pfeil an, und ihr Blick wurde hart wie Stahl.
8.
Der Wettergott war ihnen wohlgesinnt.
Zwei Tage hatten sie in ihrem Versteck ausharren müssen, bis Helgis Schmerzen so weit nachgelassen hatten, dass er sich zumindest humpelnd wieder fortbewegen konnte. Auch seine Kraft und seine Sprache waren zurückgekehrt.
Als sie aufbrachen, wehte der Wind kräftig aus westlicher Richtung und blähte das Segel ihres neuen Bootes. Die Küstenlinie flog an ihnen vorbei. Sie passierten Strände, deren weißer Sand wie ein endloses Band in der Sonne leuchtete. Dahinter
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