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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Durchfahrt. Am landseitigen Ufer waren mehrere Ausbuchtungen an der Küste zu erkennen, die von einem dichten Schilfgürtel gesäumt war. Teška steuerte eine abgelegene Bucht an und zog die Riemen kräftig durch. Der Bug teilte das Schilf und ließ die Halme raschelnd auseinanderschlagen. Dann sprangen sie an Land und zogen den Kahn mit vereinten Kräften aufs Ufer, wo sie umgehend damit begannen, trockenesMoos und Äste zu sammeln und ein kleines Feuer zu entzünden.
    Mit vereinten Kräften hievten sie Helgi aus dem Boot. Er hatte inzwischen das Bewusstsein verloren und war unglaublich schwer. Aber irgendwie schafften sie es, ihn zum Feuer zu schleppen.
    Während Ansgar sich im fahlen Mondlicht auf die Suche nach Feuerholz und Süßwasser machte, begann Teška damit, Helgi am wärmenden Feuer die schweißgetränkten Kleider auszuziehen. Das lange Wollhemd, das Unterhemd. Der Ring mit den geheimnisvollen Schriftzeichen glitzerte auf seiner Brust. Sie erinnerte sich daran, wie er ihr das Schmuckstück im Haus seiner Eltern in die Hand gelegt hatte.
    Aus dem Boot holte sie das Messer, das der Seeräuber zwischen den Zähnen gehabt hatte. Damit zerschnitt sie Helgis Hose, um nicht gegen den Pfeilschaft, der aus seinem Oberschenkel ragte, zu stoßen. Dann betrachtete sie den nackten Körper des jungen Mannes.
    Ansgar räusperte sich hinter ihr und warf trockene Äste neben das Feuer. Den Trinkschlauch hatte er an einem Bach mit Süßwasser gefüllt. Bald darauf loderten die Flammen auf. Helgis Körper fühlte sich heiß und zugleich kalt an. Sie hatten ihn auf seine linke Seite gedreht. Aus seinem Mundwinkel rann ein dünner Speichelfaden.
    Teška hielt das Messer ins Feuer und wartete darauf, dass die Klinge heiß wurde. Sie hatte Angst vor dem, was sie tun musste.
    Ansgar befeuchtete mit einem wassergetränkten Stofffetzen Helgis Stirn und Lippen. «Was für ein Gift könnte es gewesen sein?», fragte er.
    Teška überlegte. «In meiner Heimat nimmt man dafür den Saft einer Pflanze, die wir Wolfstod nennen.»
    Sie war froh über Ansgars Frage, da das Reden sie ablenkte. «Die Blume hat blaue Blüten», fuhr sie fort. «Mit dem Gift töten wir Wölfe oder Füchse, manchmal sogar Bären. Wir beschießen die Tiere mit den vergifteten Pfeilen oder legen in Wolfstod getränktes Lammfleisch als Köder aus. Es kommt immer wieder vor, dass hungrige Menschen das Fleisch essen und daran sterben.»
    Ansgar nickte nachdenklich. «Diese Blüten – sind sie geformt wie winzige Soldatenhelme?» Er malte mit seinem Zeigefinger eine konische Form in die Luft.
    «Hm.»
    Ansgar atmete vernehmlich aus. «Aconitum napellus, der eiserne Hut. So nennen wir diese Pflanze. Es heißt, der Teufel habe sich unter ihren Blüten versteckt, nachdem der Erzengel Gabriel ihn aus dem Himmelreich vertrieb. In ihren Adern fließt das Blut Satans.»
    «Das ist nicht gut.»
    «Nein, ganz bestimmt nicht.»
    Teška prüfte die Klinge, die inzwischen schwarz angelaufen war. Als sie Wasser darüber tröpfelte, zischte und dampfte es. Die Klinge war heiß geworden, aber sie glühte noch nicht. Da Teška absolut sichergehen wollte, schob sie das Messer unter ein glühendes Scheit.
    Ihr Vater Ranislav und der Zauberer ihres Heimatdorfes, Damek, hatten vor längerer Zeit einmal eine Frau behandelt, die einen der Giftköder gegessen hatte. Daher wusste Teška, dass die Vergiftung erst nach einer gewissen Zeit ihren Höhepunkt erreichte. Das war der alles entscheidende Moment, den manche Opfer überlebten, andere jedoch nicht, so wie jene Frau.
    Helgi war kräftig und hatte eine gute Konstitution. Doch seine körperliche Kraft war nur das eine, denn es kam auf die Menge des Giftes an. Gegen eine Dosis, die einen Bären töten konnte, würde auch Helgi nicht bestehen können.
    Und selbst wenn er das Gift überlebte, steckte noch immer der Pfeil in seinem Bein. Die Wunde konnte sich entzünden und   …
    «Er ist ein guter Mensch», sagte Ansgar. «Der Allmächtige wird ihn beschützen.» Er begann zu beten.
    Ein sanfter Wind streichelte das Land und ließ das Schilf rascheln. Teška schloss die Augen und ließ sich von der leiernden Stimme des Alten einlullen. Müdigkeit und Erschöpfung überkamen sie.
    Dann dämmerte sie weg.
     
    Ein Schrei holte sie ins Bewusstsein zurück. Sie brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass sie selbst es gewesen war, die geschrien hatte.
    Es war noch immer tiefe Nacht. Am Nachthimmel glitzerten die Sterne; über der Insel hing

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