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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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seien. Dort habe Ansgar den Stamm der Svea zum christlichen Glauben bekehren wollen. Allerdings ohne Erfolg, denn man habe die Christen bedroht und sie mit Schimpf und Schande aus dem Land gejagt. Ingvar hatte jenen Ansgar, von dem man sich wahrhaft wunderliche Dinge erzählte, niemals zu Gesicht bekommen, denn er war unmittelbar nach der Rückkehr spurlos verschwunden. Einige Männer behaupteten, der alte Mann sei heimgekehrt ins Frankenreich, um sich zum Sterben zurückzuziehen. Aber sicher wusste dies niemand.
    «Ansgar selbst war es, der einst die alte Glocke nach Haithabu hat bringen lassen», erklärte Perm. «Dafür hatte er sogar die Erlaubnis des dänischen Königs. Aber Hovihat den Glockenturm abreißen lassen. Auf Anweisung des Königs musste er die Glocke später wieder herausgeben. Viele glaubten, sie sei eingeschmolzen worden. Aber sie lagerte in einem Versteck, aus dem Odo sie nun wieder hervorgeholt hat.»
    «Das war verdammt leichtsinnig», fand Ulf, der das Gespräch verfolgt hatte. «Hovi wird doch jetzt erst recht mit der Nase darauf gestoßen, dass die Kirche fertig ist. Wenn euer Priester nicht bald   …»
    In dem Moment verklang das Glockengeläut, und als Hroar zurückkehrte, blieb er mit einer hilflosen Geste in der Tür stehen.
    Ulf trat nervös von einem Fuß auf den anderen. «Wir können nicht länger warten. Gleich bricht der Tag an, dann müssen wir auf Hovis Baustelle erscheinen. Wir können es nicht riskieren, dass der Jarl unseren Lohn streicht und uns auspeitschen lässt.»
    Ein Arbeiter sagte: «Ja, lasst uns endlich gehen. Ich kann es mir nicht leisten, auf das Geld zu verzichten. Ich muss meine Familie über den Winter bringen.»
    Andere Männer nickten zustimmend. Doch als sie aufbrechen wollten, bat Ingvar sie eindringlich um Geduld. «Folke wird einen letzten Versuch unternehmen, den Priester zu holen.»
    Ulf sagte: «Dann soll der Junge sich aber beeilen.»
    Folke verließ die Kirche. Ein schwacher Silberstreif schimmerte bereits durch das geöffnete Portal. Als Folke wiederkam, atmete er schnell und flach. Sein Gesicht war vom Laufen gerötet.
    «Er   … er ist verschwunden», rief er.
    Ulf machte eine säuerliche Miene. «Hoffentlich nicht für immer! Euer Priester schuldet uns noch Geld, sehrviel Geld. Gebt uns sofort Bescheid, wenn er wiederaufgetaucht ist.»
    Daraufhin verließen die enttäuschten Arbeiter geschlossen die Kirche. Sie hatten unter großer Gefahr auf diesen Augenblick hingearbeitet, und nun brachte Odo sie nicht nur um die feierliche Einweihung, sondern vielleicht auch noch um ihren Lohn. Ingvar ahnte, dass es äußerst unangenehme Folgen für die ganze Gemeinde haben könnte, wenn die Christen ihre letzten Fürsprecher in Haithabu verlieren würden.
    Er ergriff das Wort. «Wir müssen den Priester unbedingt finden.»
    Die Brüder schauten ihn ratlos an. «Und wo sollen wir ihn suchen?», fragte Perm.
    Ingvar rang verzweifelt die Hände. «Überall! Wir schwärmen aus und durchkämmen die ganze Stadt. Irgendwo muss er ja sein.»
    Aber sicher war er sich da nicht.

2.
    Ingvar und Folke liefen zum Handwerkerviertel in der Nähe des Hafens.
    In diesem Stadtteil hatten die Flammen besonders schlimm gewütet. Nur ein einziges Haus war vom Feuer verschont worden: das des buckligen Schmieds Gizur, dessen Leiche man bei den Aufräumarbeiten entdeckt hatte. Der Kryppa hatte einen schrecklichen Anblick geboten. Sein Bauch war aufgeschnitten und das Herz und andere Organe waren ihm aus dem Leib gerissen worden.
    Natürlich hatte Gizurs Tod viele Fragen aufgeworfen,und es gab nicht wenige Stimmen, die seinen Nachbarn Helgi für den Mörder hielten. Allerdings konnte man den jungen Schmied selbst nicht befragen, denn er war seit jener Nacht spurlos verschwunden.
    Ingvar blieb vor der Ruine des Hauses stehen, in dem sein bester Freund Helgi gelebt hatte. Das Dach der Schmiede war eingestürzt. Unter den Trümmern hatten Nachbarn, die sich an den Holzresten für ihre eigenen Häuser bedienten, Helgis Mutter Gullweig gefunden. Man hatte sie auf dem Friedhof neben ihrem Mann bestattet. Alle wussten, dass dies ihr letzter Wunsch gewesen war.
    Gullweig und Gizur waren bei weitem nicht die einzigen Opfer, die nach dem verheerenden Feuer zu beklagen waren. Insgesamt waren mehr als zweihundert Bewohner Haithabus ums Leben gekommen – und somit gut ein Fünftel der gesamten Stadtbevölkerung. Die Gassen und Straßen wurden noch immer von verkohlten, zerstörten oder

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