Das Buch der Sünden
ihr wehtun müssen, aber letztlich würde sie ihm den Aufenthaltsort des Dämons verraten. Nun, er hatte Zeit.
Odo öffnete die Kiste und nahm eine Zange heraus. Er bedauerte, keines der Brandeisen verwenden zu können. Es würde zu lange dauern, das Eisen zum Glühen zu bringen. Als er jedoch gerade einen der Finger mit der Zange abtrennen wollte, spürte er plötzlich an seiner linken Schulter einen Stoß und unmittelbar darauf einen heftigen Schmerz.
Odo wirbelte herum. Gerade setzte Žiliška zum nächsten Angriff an. In ihrer Hand blitzte die Messerklinge auf, mit der sie ihn an der Schulter verletzt hatte. Odo schnellte vor und rammte ihr die Faust ins Gesicht. Ihre Nase brach mit einem hässlichen Knacken. Sie schrie auf und stürzte rücklings zu Boden. Odo stellte sich über sie, zog sein Messer und schüttelte bedauernd den Kopf.
«Warum», sagte er, «kannst du nicht abwarten, bis deine Zeit gekommen ist? Warum hast du es so eilig zu sterben?»
Dann beugte er sich über sie, um ihr das Messer ins Herz zu stoßen. Doch sie war schnell. Ehe Odo sichs versah, war sie unter ihm weggeglitten und befand sich plötzlich hinter ihm. Er verlor das Gleichgewicht. Sein Kopf prallte dicht neben der Feuerstelle auf. Blitze zuckten durch seinen Kopf, und es dauerte einen Moment, bis er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte.
Da züngelten mit einem Mal dicht neben ihm Flammen empor, die sich rasch ausbreiteten. In ihrem Schein sah er Žiliška am Feuer stehen. Und als er erkannte, womit sie es entfacht hatte, wollte er schreien, doch der Laut erstickte kläglich in seiner Kehle.
Das Buch! O allmächtiger Vater – das heilige Buch verbrannte vor seinen Augen! Er streckte seine Hand danach aus. Doch das Feuer versengte sein Fleisch.
Žiliška verfolgte Odos Rettungsversuche mit versteinertem Blick. Die Flammen, die das Buch fraßen, spiegelten sich in ihren Augen wider. Ihre Finger schlossen sich um den Messergriff, und sie machte sich bereit, den dunklen Priester zu töten.
Doch dann hielt sie mitten in der Bewegung inne und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die weitgeöffnete Eingangstür des Langhauses. Von draußen hörte sie die aufgeregten Stimmen der Dänen.
Auch Odo hörte die lauten Rufe. Vor dem Anwesen schien irgendetwas vor sich zu gehen. Die Stimmen wurden immer panischer. Und dann verstand Odo, was die Aufregung zu bedeuten hatte: Die Dänen flohen.
Die Ranen griffen an.
7.
Helgi lauerte in der Dunkelheit.
Er stand auf einem Hügel in den Schwarzen Bergen und blickte hinab auf die haushoch lodernden Flammen der Feuer, die die Dänen am Strand entzündet hatten. Ringsum saßen dicht zusammengedrängt Hunderte Ranen. Die Angreifer hatten alle Bewohner zum Boddenufer getrieben, und nun standen die schwerbewaffneten Männer bei ihren Gefangenen, als warteten sie auf etwas.
Helgi schätzte die Zahl der Dänen ab. Sie waren mit drei Langschiffen gekommen. Das bedeutete, dass es gut zweihundert Männer waren, vielleicht ein paar mehr, vielleicht ein paar weniger. Auf jeden Fall viel zu wenige, um gegen das Heer der Ranen bestehen zu können.
«
Skauð
! Feigling! Töte deine Feinde!» Odins Worte hallten in seinem Kopf wider.
Aber waren die Dänen seine Feinde? Er war selbst Däne, und nun würde er gegen sie kämpfen. Er liebte die Ranen, denn sie hatten ihn aufgenommen wie einen Freund. Sie hatten ihm vertraut, hatten ihm ihre Hochachtung und ihren Respekt erwiesen, indem sie ihn bereitwillig zu ihrem Wojwoden gemacht hatten. Und genau das war es, was Freundschaft ausmachte: Vertrauen und Respekt.
Doch nun hielten ihn sowohl die Ranen als auch die Dänen für einen Verräter …
Helgi schüttelte die belastenden Gedanken ab. Längst war die Nacht hereingebrochen. Wie viel Zeit würde noch bleiben, bevor die Dänen sich über ihre Gefangenen hermachten, um ihre Blutgier zu stillen?
«Ob die Inselsoldaten überhaupt kommen werden?»,fragte Ingvar, der nicht von Helgis Seite gewichen war, seit sie vor den Dänen bei Arkona geflohen waren. In atemberaubend kurzer Zeit hatten sie die Strecke nach Ralsvik zurückgelegt, wo sie sich bei den Schwarzen Bergen von Damek getrennt hatten. Während Helgi und Ingvar hier warteten, war der Toblac weiter zur Königsburg Charenza geritten, um die Soldaten des Königs in die Schlacht zu rufen.
Helgi blickte hinauf zu den Sternen, die am nahezu wolkenlosen Himmel funkelten. Dann senkte er den Blick auf ihren Widerschein, der sich auf der glatten,
Weitere Kostenlose Bücher