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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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spannte sich erneut. Der Schütze war höchstens noch zehn Fuß entfernt. Odo machte sich bereit, ihn anzuspringen. Er spannte seine Muskeln an. Die Geräusche waren jetzt sehr nah.
    Da loderten plötzlich Flammen auf, helle, tanzende Flammen, die die Dunkelheit fortrissen wie eine Decke, und mit einem Blick erfasste Odo die Umgebung. Er erkannte die Umrisse des Schützen, der mit gespanntem Bogen keine fünf Schritt von ihm entfernt war, den todbringenden Pfeil auf Odos Brust gerichtet. Doch der Mann schien von der plötzlichen Helligkeit ebenso überraschtzu sein wie Odo. Anstatt auf ihn zu schießen, drehte er sich weg, hin zu einer Gestalt, die mitten in dem saalartigen Raum stand. In der Linken hielt sie eine brennende Fackel, mit der sie durch eine Hintertür den Saal betreten hatte – und in der Rechten eine Lanze.
    Als der Feuerschein über das Gesicht des Bogenschützen huschte, hätte Odo beinahe einen Schrei ausgestoßen. Dieser Mann hier sah zwar aus wie ein Dämon: Über seine Schultern hing ein graues Fell, und auf dem Kopf trug er den Schädel eines Wolfes. Aber das Profil des Gesichts ließ Odo die harten Züge eines Mannes erkennen, der ganz sicher nicht der Däne war.
    Der Wolfsmann schoss auf die Gestalt mit der Fackel. Doch die Helligkeit blendete ihn. Der Pfeil verschwand in den Tiefen des Langhauses. Mit einer blitzschnellen Bewegung zog der Mann einen weiteren Pfeil aus dem Köcher, der über seinem Rücken hing. Da schnellte die Gestalt vor, und bevor der Schütze die Sehne seines Bogens erneut spannen konnte, stieß sie ihm die Lanze in den Hals. Röchelnd ging der Wolfsmann in die Knie, während das Blut wie ein Sturzbach aus seiner Kehle quoll.
    Stille breitete sich aus, die nur unterbrochen wurde von den Atemzügen des Sterbenden und dem Knistern der Fackel. Ohne Odo zu beachten, wandte sich die Gestalt ab, und als sie ihm den Rücken zukehrte, leuchtete ihr wallendes, langes Haar im Zwielicht.
    Es war Žiliška.
    Odo beobachtete, wie sie mit der Fackel zur gegenüberliegenden Wand des Saals ging, wo ein Bett stand. Žiliška hielt die Fackel an einen Haufen trockener Späne, die auf einer Feuerstelle lagen. Als das Feuer aufloderte, trat sie an das Bett, auf dem eine nackte Frau lag. Ihr deutlichgewölbter Bauch verriet, dass sie ein Kind erwartete. Die Schwangere war mit gespreizten Händen und Füßen an das Bett gefesselt und ihr Mund mit einem Knebel verschlossen. Ein Beben fuhr durch den Körper, als Žiliška neben das Bett trat.
    Odo erhob sich, machte einen Schritt über den Wolfsmann hinweg und näherte sich Žiliška. Sie hatte ihm den Rücken zugedreht, während sie die Fackel über den Bauch der Schwangeren hielt. Die Frau stieß unter dem Knebel verzweifelte, wehklagende Laute aus. Ihre Haut glänzte schweißnass. Da blitzte in Žiliškas Hand plötzlich eine Messerklinge auf. Die Schwangere bäumte sich auf und wand sich in den Fesseln.
    Als Odo hinter Žiliška trat, fuhr ihm der Schreck durch alle Glieder. Er erkannte die Frau auf dem Bett: Es war das Weib aus Haithabu, das zu dem Dänen gehörte. Und die Frau war schwanger! Bei Gott! Hatte der Verderber sich etwa fortgepflanzt?
    Žiliška war in den Anblick der Frau versunken. Sie bemerkte nicht, wie Odo sich ihr von hinten näherte. Mit sanften Bewegungen ließ sie die Messerschneide über den Bauch gleiten. Dann setzte sie schließlich die Spitze über dem Nabel an und spannte ihre Muskeln, um die Klinge hineinzustoßen.
    In dem Moment schnellte Odo vor und riss Žiliška das Messer aus der Hand. Sie stieß einen Schrei aus, der Odo das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ein von glühendem Hass erfüllter Blick traf ihn. Er schlug ihr mit der Rechten so hart ins Gesicht, dass sie gegen die Wand geschleudert wurde und regungslos liegen blieb.
    Odo hob die Fackel auf und steckte sie in eine Halterung an der Wand. Dann beugte er sich über die Schwangere,legte seinen Zeigefinger an seine Lippen und bedeutete ihr, still zu sein. Als die Frau mit tränenfeuchtem Gesicht nickte, riss er ihr den Knebel aus dem Mund.
    «Ist Helgi der Vater deines Kindes?», fragte er.
    Die Frau nickte verschüchtert.
    «Wo ist er?»
    Doch sie starrte Odo nur mit aufgerissenen Augen an. Ihr Atem ging stoßweise.
    Er wiederholte seine Frage, dieses Mal etwas lauter. Aber die Schwangere antwortete noch immer nicht. Seufzend nahm Odo die Tasche von der Schulter, legte sie neben der Frau aufs Bett und holte die Kiste und das Buch hervor. Er würde

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