Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
Vom Netzwerk:
Gott Svantevit zu danken. Befreites Gelächter drang zu den Reitern herüber.
    «Wir sollten uns von ihnen verabschieden», meinte Ansgar.
    Helgi schüttelte traurig den Kopf. «Sie haben allen Grund, mich zu hassen. In ihren Augen bin ich ein Verräter.»
    Ansgar seufzte. Er bedauerte es, nicht die Zeit zu haben, um Helgis Ansehen wiederherzustellen. Der Däne hatte den Menschen viel Gutes gebracht.
    Sie ließen die belebte Kulthalle links liegen und hielten weiter auf die Brücke zu. Aber als sie sich dem Ende der Landzunge näherten, blockierte mit einem Mal eine beleibte Gestalt den Weg. Schnaubend hielten die Pferde an.
    «He, ihr beiden!», rief Damek. «Ich muss euch noch etwas sagen, bevor ihr die Insel verlasst und vielleicht niemals wiederkehrt.»
    Der Toblac trat dicht vor die Pferde und fuhr sich mit dem Ärmel über seine feucht schimmernden Augen. «Meine Weiber und die Kinder haben es gut bei dir gehabt, alter Mann, verdammt gut. Ich habe dir das niemals gesagt   … aber ich   … aber ich danke dir dafür.»
    Ansgar lächelte milde. «Ich liebe deine Frauen und deine Kinder. Und ich liebe auch dich, du bärbeißiger, ewig fluchender Zauberer. Ich werde euch im Herzen immer bei mir tragen und euch in meine Gebete einschließen.»
    Damek gab den Weg noch nicht frei. «Ich habe ein Geschenk für dich und deinen Gott.» Er zog eine kleine, aus Holz geschnitzte Figur unter seinem Mantel hervor und reichte sie Ansgar. Es war die Darstellung des Gottes mit den vier Häuptern. Ansgar bedankte sich und verstaute gerührt die Figur in der Tasche, in die Woislava den Proviant eingepackt hatte.
    Damek wandte sich Helgi zu. Ihre Blicke trafen sich. «Ich hoffe, wir sehen uns eines Tages wieder», sagte der Toblac mit gepresster Stimme. Tränen rannen aus seinen Augen. «Du wirst immer unser Wojwode bleiben   …»
    Erst jetzt bemerkte Helgi, dass die Ranen die Kulthalleverlassen hatten und auf den Weg getreten waren. Hunderte Menschen umringten die beiden Reiter. «Wir vertrauen dir, Helgi», rief ein Mann. «Du bist unser Wojwode!» Die anderen stimmten lauthals zu.
    Helgi nickte und rang sich ein Lächeln ab. Er brachte kein einziges Wort hervor, seine Kehle war wie zugeschnürt. Die Zuneigung der Ranen überwältigte ihn.
    «Eines musst du noch wissen», sagte Damek. «Du glaubst wohl, Däne, ich hätte damals nicht bemerkt, dass du mich hast gewinnen lassen bei diesem Spiel, diesem   … diesem   … ich habe den verfluchten Namen schon wieder vergessen.»
    «Hnefatafl», sagte Helgi leise.
    «Von mir aus. Aber ich werde üben, und eines Tages fege ich deine Steine vom Brett. Also, mach dich auf etwas gefasst, wenn du mir meine Duša zurückbringst.»
    Dann trat er endlich zur Seite. Helgi und Ansgar trieben ihre Pferde an ihm vorbei, und als sie die Brücke erreichten, riefen die Ranen noch immer den Namen ihres Wojwoden. Das Klappern der Pferdehufe auf den Holzbohlen ging unter in den lauten Stimmen der Menschen.
    Sie verabschiedeten ihn wie einen Freund.

TEIL VII
Sankt Gallen
    Ostern 864
     
    Und der siebte Engel goss aus seine Schale in die Luft,
    und es ging eine laute Stimme aus dem Tempel
    des Himmels vom Thron her,
    die sprach: Es ist geschehen!
    Und es geschahen Stimmen und Donner und Blitze,
    und ein großes Erdbeben geschah,
    wie es dergleichen noch nie gegeben hat,
    seit es Menschen gab auf Erden,
    ein solches und gewaltiges Erdbeben!
     
    Offenbarung des Johannes 16, 17   –   18

1.
    Dem Kloster Sankt Gallen stand ein bedeutender Tag bevor, auch wenn sich das Wetter an diesem Ostersonntag im Jahre des Herrn 864 alles andere als feierlich gebärdete. Bereits seit einer Woche schüttete es wie aus Kübeln. Die Wege in der verwinkelten Klosteranlage waren so aufgeweicht, dass die Mönche nicht mehr trockenen Fußes von einem Gebäude zum nächsten kamen. Den kleinen Bach, die Steinach, hatten die sintflutartigen Güsse zu einem reißenden Fluss anschwellen lassen. Die Straße, die von den Wäldern zur Kathedrale hinaufführte, erstickte unter einer schmierigen Schlammschicht.
    Und so wälzte sich an diesem nassen Morgen ein dreckverschmierter Tross über den Weg. Knöcheltief versanken die Klosterbesucher in Pfützen und Schlamm. Pferde- und Ochsenhufe pflügten den Boden. Hunderte Pilger, Mönche und adlige Bürger stiefelten durch den Matsch, trotteten den Hang hinauf, vorbei an den Stallungen, um kurz darauf in die Kathedrale einzutreten.
    Denn niemand wollte sich das große Ereignis

Weitere Kostenlose Bücher