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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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vorbeischlich. Nirgendwo waren Stimmen zu hören. Im Eichenwald jenseits der Klostermauern krächzte ein Rabe. Der Mond leuchtete fahl am klaren Nachthimmel.
    Der Allmächtige weist mir den Weg, dachte Odo.
    Er legte seine Hand an die Tür des Skriptoriums. Sie war unverschlossen. Odo atmete auf. Schemenhaft erkannte er die Schreibpulte der Skribenten, die Tische und Regale. Er erreichte die Treppe, deren Stufen beim Hinaufgehen unter seinen Füßen knarrten. Als sich vor ihm die Bibliothek öffnete, erstarrte er vor Ehrfurcht. Mondlicht, das durch die Fenster drang, schien auf die raumhohen Regale. Niemals zuvor hatte er so viele Schriften gesehen; es mussten Hunderte sein.
    Doch wo befand sich die Bücherkiste aus Corbie?
    Er hatte nicht viel Zeit, danach zu suchen, vielleicht nur diese eine Nacht. Langsam schlich er an den Regalenentlang, als er plötzlich von unten aus dem Skriptorium Geräusche vernahm.
     
    Schritte und Stimmen näherten sich. Es waren mindestens zwei, vielleicht auch drei Männer. Odo schaute sich panisch um. Wo sollte er hin?
    Auf der anderen Seite des Raums entdeckte er eine dunkle Ecke und hastete hinüber. Zwischen der rückwärtigen Wand und dem letzten Regal befand sich eine schmale Nische. Er schlüpfte gerade noch rechtzeitig hinein. Schon zeichneten sich auf den Wänden die flackernden Schatten mehrerer Gestalten ab, die mit Tranlampen in den Händen eintraten. Die Stimmen waren jetzt deutlich zu vernehmen.
    «Her mit den Sachen», sagte einer der Männer im Befehlston.
    Odo glaubte, die Stimme des Legaten Radoald zu erkennen.
    «Zwei Tage hältst du uns nun schon hin», murrte er. «Wir verlieren Zeit. Hast du mich verstanden, Mönch?»
    Etwas schabte über die Holzdielen. Odo schob sein Gesicht dicht an den Rand des Regals. Sein Herz trommelte. In der Mitte der Bibliothek beugten sich die beiden Legaten sowie der Subprior Raban über die geheimnisvolle Kiste.
    «Nennt mich nicht Mönch», erwiderte Raban. «Ich bin Prior.»
    «Prior?» Radoald blickte gereizt auf. «Subprior, soviel ich weiß – Raban Bibliothekarius.»
    Dann wandte er sich wieder den Schriften zu. «Ich sehe hier Sammlungen von Konzilen und päpstlichen Briefen», murmelte er. «Und hier die Kapitularien der fränkischenKönige. Alle diese Schriften stammen aus Corbie. Sie sind verfasst worden   …» Radoald schlug eines der Bücher auf und las: «…   von einem gewissen Isidor Mercator.»
    Gunther kicherte.
    Radoald brachte ihn mit einem eisigen Blick zum Schweigen. «Aber ein Buch fehlt noch», sagte er zu Raban. «Es sollte hier in Sankt Gallen den anderen Schriften beigelegt werden.»
    Der Subprior straffte die Schultern und drehte sich mit einem Ruck in Odos Richtung. Sofort glitt Odo in den Schatten zurück und hielt den Atem an. Plötzlich tauchte unmittelbar vor ihm Rabans knochige Hand auf. Wie Spinnenbeine legten sich die Finger auf eines der Bücher, zogen es aus dem Regal und verschwanden damit.
    Odo atmete wieder aus, dann lugte er um die Ecke und sah, wie Raban dem Legaten das Buch überreichte. Gunther hielt die Lampe, und Radoald las lange darin, schlug Seite um Seite um, während seine Augenbrauen sich immer weiter zusammenzogen.
    «Von wem stammen diese Worte?», fragte er schließlich mit heiserer Stimme.
    Raban, der sich die ganze Zeit nicht gerührt hatte, antwortete: «Von dem Heiligen, dessen Namen Ihr darin gelesen habt.»
    Radoald schüttelte energisch den Kopf. «Aber wie ist das möglich? Die Urschrift wurde schon beim Konzil von Karthago im Jahre des Herrn 367 bestätigt und in den Kanon der heiligen Schriften aufgenommen. Dies hier ist gottlose Ketzerei.»
    «Seid Ihr Euch dessen so sicher?» Raban wiegte den Kopf hin und her. «Wenige Jahre zuvor hatte das Konzil von Laodizea die Schrift noch nicht einmal aufgeführt.Woher also wollt Ihr wissen, welches die wahrhaftige Version ist?»
    «Aber schaut Euch doch die Pergamente an», warf Radoald ein. «Das Werk ist noch viel zu jung. Außerdem hat der Apostel seine Vision auf Griechisch verfasst, nicht auf Latein.»
    Raban nickte steif. «Es handelt sich selbstverständlich um eine Übersetzung.»
    «Ach! Und wer hat sie verfasst?»
    «Ich selbst. Als junger Mönch. Seht her!» Er schlug den Einband auf und tippte auf die Aufschlagseite. «Hier ist der Ort vermerkt, an dem das Buch abgeschrieben wurde: Sankt Gallen, das Kloster des heiligen Gallus!»
    Radoald legte die Stirn in Falten. «Dann weißt du also auch, wo sich das Original

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