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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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des Toten ist.»
    Ingvar nickte. «Vielleicht soll es eine Rune darstellen, wie sie in den Skarthistein an der Straße nach Hygelac gemeißelt sind.»
    Helgi kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Gullweig hatte ihm die Runenschrift erklärt. Er kannte alle Zeichen und hatte damit häufig seine Schnitzereien verziert.
    «Es könnte   … es könnte ein
uruz
sein, das Zeichen für den Ochsen», überlegte Helgi. «Oder ein
opalan,
das für Erbbesitz steht. Aber was soll das für einen Sinn ergeben?»
     
    Da ertönten plötzlich laute Stimmen von der Straße her.
    «Auseinander! Geht zur Seite! Auseinander!»
    Egil Blóðsimlir führte sein Pferd heran. Der Hauptmann des Jarls konnte hier nicht reiten, da die Hufe des Tieres im weichen Untergrund versunken wären. Hinter dem Bluttrinker stapften zwei kahlköpfige Krieger; ihre tätowierten Glatzen glänzten im Sonnenlicht. Die Brüder hießen Hrungnir und Draupnir. Es waren Berserker, Bärenmenschen.Schreckliche Kerle, stark und dumm. Die Menschen von Haithabu zitterten vor ihnen.
    Hinter den Berserkern folgte ein gutes Dutzend Soldaten.
    «Auseinander! Auseinander!», brüllte Egil.
    Sofort wich die Menschenmenge zurück. Egil betrachtete die Leiche mit einer Mischung aus Wut und Verachtung. Als Hrungnir und Draupnir bei dem Anblick des Toten zu kichern begannen, mahnte Egil sie mit finsterem Blick zur Ruhe.
    «Holt das da vom Baum», fuhr er die Glatzköpfe an.
    Hrungnir und Draupnir glotzten sich an. Jeder der beiden konnte es mit einem halben Dutzend Krieger aufnehmen. Sie konnten sich in einen Zustand des Wahnsinns hineinsteigern, in dem sie mit bloßem Oberkörper und ohne Brustpanzer kämpften wie rasende Wölfe. Sie schreckten weder vor einem Schwert noch vor Feuer zurück. Aber wenn es darum ging, eine Leiche von einem Baum zu holen, waren sie sichtlich überfordert.
    Egil wurde ungeduldig. «Los, beeilt euch!»
    Daraufhin stellte sich Hrungnir unter einen etwa zehn Fuß hohen Ast und verschränkte die Hände, um seinem Bruder als Leiter zu dienen. Während Draupnir sich nach dem Ast streckte, befahl Egil anderen Kriegern, die Leichenteile einzusammeln.
    Da trat ein alter Mann vor und sagte: «Aber die Schuhe gehören mir!»
    Egil rief den Alten zu sich.
    «Der Dieb hat meine Schuhe gestohlen», sagte der Alte mit Blick auf die Leiche.
    «Du kanntest den Mann?», erwiderte Egil verblüfft.
    «Ja! Er hat mich reingelegt. Er wollte mir Schinken fürmeine Schuhe geben. Aber stattdessen hat er ihn selbst gefressen. Und dann hat er mich mit meinem eigenen Stock niedergeschlagen und mir die Schuhe gestohlen.» Der Alte reckte eine Faust und wünschte dem Toten alle erdenklichen Krankheiten an den Hals.
    Egil forderte einen seiner Soldaten auf, ihm die Füße des Toten zu bringen.
    Ingvar stöhnte vor Ekel auf, als der Soldat die abgetrennten Füße mitsamt der Schuhe aufhob. Egil riss sie ihm aus der Hand und hielt sie dem Alten vors Gesicht.
    «Ja, ja», schnaufte der Alte. «Meine Schuhe sind das. Meine!»
    Egils Gesicht wurde steinhart. «Deine Hand und dein Maul sind blutig, alter Mann.»
    Verdutzt betrachtete der Alte seine Rechte. «Ich   … ich habe ein Stück Kochfleisch gegessen.»
    «Gekochtes Fleisch?»
    Der Alte nickte. «Sogar in Öl gekocht. Aber innen war es noch blutig. Ein Mann hat es mir gegeben, gestern Nacht, als ich wieder zu mir gekommen bin. Er hat gesagt: ‹Iss das und reinige deine Seele.›»
    «Reinige deine Seele? Wie hat der Mann denn ausgesehen?»
    Der Alte wirkte ängstlich. «Ich habe ihn nicht erkannt. Er trug einen schwarzen Umhang.»
    Da packte Egil den Alten am Ohr und drehte es so kräftig herum, dass der Alte mit einem Schmerzensschrei in die Knie ging.
    «Weißt du, was ich glaube?», zischte Egil. «Ich glaube, dass du den Kerl da oben getötet hast.»
    Ein Raunen erhob sich unter den Zuschauern.
    «Ich habe dem Mann nichts getan», kreischte der Alte.
    «Und wie kommt das Blut an deine Hand?»
    Der Alte zog einen blutigen Klumpen aus seiner Tasche. «Hier ist das Fleisch.»
    Egil betrachtete das etwa faustgroße Stück. Anstatt den Alten jedoch loszulassen, drehte er dessen Ohr noch stärker. Der Alte schrie, als ob das Ohr jeden Moment abreißen würde.
    «Seht her!», rief Egil und hob den Klumpen triumphierend in die Höhe. «Dieser Kerl hier hat den Mann getötet. Das Fleisch ist der Beweis. Der Bastard hatte es in seiner Tasche. Er wollte es essen. Es ist – das Herz eines Menschen.»
    Die

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