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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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verputzt; das Dach schien frisch eingedeckt zu sein.
    Helgi wischte sich eine Mücke aus dem Gesicht.
    Auf dem Hof wurde der Gestank immer ekelerregender. Es roch nicht mehr nur nach dem faulen Noorwasser, sondern auch nach vergammeltem Fisch, Rauch und Fäkalien.
    Eine Ratte huschte über den Hof. Auf einem der Dächer keckerte eine Krähe.
    Unbemerkt erreichte Helgi das Langhaus, dessen Strohdach an einigen Stellen eingesackt war. Neben der verriegelten Tür war eine quadratische Öffnung in die Wand eingelassen.
    Er schob sich an das Fenster heran, spähte in den Raumund erstarrte. Der Boden war übersät mit apathisch herumhockenden Sklaven. Einige lagen zusammengekauert zwischen den anderen. Vermutlich waren sie vor Erschöpfung sofort eingeschlafen.
    Ein älterer Mann sagte etwas in den Raum hinein, in einer Sprache, die Helgi nicht verstand. Aber er glaubte, diese Sprache auf dem Markt gehört zu haben, wenn sich Händler unterhielten, die aus den Ländern im Osten stammten.
    Nun erhoben sich einige Männer. Sie schlichen zu einem leblosen Körper, auf den der alte Mann zeigte. Es war ein Mädchen. Helgi erkannte es als jenes wieder, das der Wächter in das andere Gebäude gezerrt hatte. Es schien tot zu sein. Die Männer schleiften den Körper in eine Ecke, wo sie ihn ablegten.
    Helgi suchte nach Rúna. Er entdeckte sie unterhalb des Fensters, durch das er schaute.
    Sie war keine zehn Schritt von ihm entfernt. Sie kauerte neben einer älteren Frau, hatte ihren Kopf an deren Schulter gelehnt und starrte ins Leere.
    Plötzlich begann jemand ein leises Lied anzustimmen. Nach und nach fielen auch andere ein, bis alle Sklaven mitsangen. Einzig Rúnas Lippen blieben fest verschlossen. Es war eine Melodie, die trauriger klang als alles, was Helgi bislang gehört hatte.
    Helgi nahm die Holzfigur aus der Tasche und stellte sie auf das Fensterbrett. Er wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Rúna den Kopf hob und in seine Richtung schaute. Ihre Augen verrieten Verwunderung. Dann veränderte sich ihr Ausdruck, und – Helgi konnte es kaum fassen – sie lächelte!
    In dem Moment ertönten Stimmen in Helgis Rücken.
    Er wandte sich vom Fenster ab und huschte geduckt hinter einen Müllhaufen. Feng und der Hüne waren auf den Hof getreten. Sie unterhielten sich gedämpft. Kurz darauf verschwand Feng wieder im Haus. Der Hüne, an dessen Gürtel ein Kurzschwert hing, bewegte sich torkelnd auf das Langhaus zu.
    Helgi spannte seine Muskeln an.
    Der Mann war beinahe so groß wie Helgi. Aber er schien gut zehn Jahre älter zu sein. Vermutlich war er ein geübter Kämpfer.
    Als der Wächter die Tür fast erreicht hatte, hielt er plötzlich inne. Er wechselte die Richtung und torkelte auf den Müllhaufen zu, hinter dem Helgi in Deckung gegangen war. Der Kerl war so betrunken, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Schwankend baute er sich breitbeinig auf, um zu pinkeln.
    Helgi entdeckte ein Kantholz, das aus dem Müll hervorschaute. Er zog es vorsichtig heraus. Der Wächter erleichterte sich noch immer. Leise schlich Helgi um den Müllhaufen herum, griff den Wächter von hinten an und schlug ihm das Holz so fest auf den Schädel, dass es zersplitterte. Der Hüne verlor sofort das Bewusstsein, kippte vornüber und landete im Dreck.
    Im Wächterhaus grölten die Männer Trinksprüche. Aus dem Langhaus drang verhalten der dumpfe Murmelgesang.
    Helgi warf einen letzten Blick zurück. Die Figur war vom Fensterbrett verschwunden.

18.
    Helgi musste seine Gedanken und Eindrücke mit jemandem teilen. Seine widersprüchlichen Empfindungen. Er wollte sich jemandem anvertrauen, von den schrecklichen Dingen erzählen, die er im Sklavenviertel gesehen hatte.
    Sklaverei war völlig normal, von den Göttern gegeben. Die Unfreien gehörten zum Alltag wie Essen und Trinken. Sie waren eine Handelsware. Wer genug Silber besaß, konnte sich jederzeit einen Sklaven kaufen. Er war dann sein Eigentum, wie ein Schwein, ein Hund oder eine Ziege. Die Unfreien mussten arbeiten, konnten ausgebeutet werden. Sie besaßen keine Rechte. Ihr Herr konnte sie schlagen, missbrauchen, vergewaltigen. Man ließ sie bis zum Umfallen schuften oder verweigerte ihnen die Nahrung. Erst aßen die Herren, dann die Hunde und das Vieh, und wenn noch Knochen übrig waren, durften die Sklaven sie abnagen. Unfreie, die sich auflehnten, wurden getötet und außerhalb der Stadt oder des Gehöfts verscharrt.
    So lauteten die Gesetze, und Helgi kannte sie. Jeder Däne

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