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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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höchsten Stand erreicht hatte, kamen sie auf den Marktplatz.
    Die Läden der Buden waren heruntergeklappt, der staubige Platz verwaist. Die meisten Händler waren vor der Gluthitze geflohen. Sie zogen es vor, die heißeste Stunde des Tages abseits des Marktplatzes in einer schattigen Ecke zu verbringen, wo sie auf Decken schliefen oder zu Mittag aßen.
    Über einer Bude jedoch, einem winzigen Verschlag, stieg dünner Rauch empor. Odo und Folke gingen dorthin. Auf der Auslage gab es eine überschaubare Auswahl an Waren: Amulette in Form des heidnischen Thorshammers sowie Bronzeschüsseln und Schalenfibeln, mit denen Frauen ihre Kleider bestückten.
    Odo klopfte gegen die Bretterwand. Hinter der Auslage tauchte der Kopf eines verschwitzten Mannes auf, dem man das linke Auge ausgestochen hatte. Er hieß Gnupa und war ein friesischer Metallgießer. Aus Geldgier hatte er mehrfach gegen Gesetze verstoßen. Gemessen an der Schuld, die er auf sich geladen hatte, war er noch relativ glimpflich davongekommen, von dem fehlenden Auge einmal abgesehen.
    Gnupas Miene hellte sich auf, als er Odo sah. «Ah, der Priester! Ich dachte schon, du lässt mich auf deiner Bestellung sitzen.»
    Odo verachtete den Kerl. «Hast du das, was ich will?», fragte er kalt.
    Gnupa steckte den Kopf aus der Bude. Er schaute sich auf dem Marktplatz um, wobei er den Kopf drehte und wendete wie ein Hahn.
    Als er Folke erblickte, fragte er: «Was hängt denn da für ein Rotzlöffel an deinem Rockzipfel?»
    «Der Junge gehört zu mir», erwiderte Odo.
    Gnupa zog den Kopf zurück und wischte sich denSchweiß aus dem Gesicht. Mit spitzen Fingern fischte er einen Lederbeutel aus seiner schmierigen Schürze. Odo tat es ihm gleich und holte ebenfalls einen kleinen Beutel hervor.
    Doch bevor es zum Geschäft kam, sagte Gnupa: «Der Preis hat sich geändert. Die Zeiten sind gefährlich, Priester, selbst für einen ehrlichen Handwerker wie mich.»
    «Wie viel?», erwiderte Odo.
    «Das Doppelte.»
    Odo hatte damit gerechnet, dass der Betrüger versuchen würde, ihn auszunehmen. Leicht hätte er ihm die geforderte Summe zahlen können, aber er gönnte Gnupa das Geld nicht. Mit einer blitzschnellen Bewegung griff Odo über die Auslage hinweg ins Innere der Bude. Zu Gnupas Entsetzen holte er eine aus Speckstein gefertigte Gussform hervor.
    «Wenn ich dem Jarl dies hier zeige, dann wird er dir dein zweites Auge ausbrennen», sagte Odo und hielt das Werkstück in die Höhe.
    In die eine Seite des Specksteins war die Form eines Thorshammers eingearbeitet worden. Doch als Odo den Stein umdrehte, erschien dort die Gussform für ein Kruzifix.
    Gnupas Auge funkelte böse.
    «Der Herr dieser Stadt ist kein Freund von uns Christen», sagte Odo süffisant. «Er wäre wohl kaum von einem gewissenlosen Geschäftemacher angetan, der vorgibt, heidnische Symbole zu fertigen, aber gleichzeitig an uns Christen verdienen will.»
    «Gib mir den Stein zurück.»
    «Erst gibst du mir das, was ich bei dir bestellt habe.»
    Widerwillig reichte der Metallgießer den Beutel überdie Auslage. Odo prüfte den Inhalt und legte daraufhin die Münzen und die Gussform auf die Auslage.
    «Verfluchter Halsabschneider», brummte Gnupa und verrammelte seinen Laden.
     
    Auf dem Heimweg fragte Folke den Priester nach der Gussform.
    «Es gibt Menschen», erklärte Odo, «die verwechseln Gott mit Geld. Menschen wie Gnupa ist es egal, ob sie Thors Hammer an Heiden oder Kreuze an Christen verkaufen. Ihnen geht es nur darum, aus einem Handel viel Gewinn herauszuschlagen. Wie du gesehen hast, hat Gnupa nichts gelernt aus seinen früheren Verfehlungen.»
    «Was ist mit seinem Auge passiert?»
    «Der Graf einer fränkischen Stadt hat Gnupa für seine Geschäftemacherei bestraft. Gnupa hatte dort mit den Normannen gemeinsame Sache gemacht. Dabei hatte er kurz zuvor noch für die Franken Silberkreuze gegossen. Er verkauft an Freund und Feind und ist zudem so geizig, dass er für beide dieselbe Gussform benutzt.»
    Odo schüttelte angewidert den Kopf. «Auf der einen Seite gießt er das Götzensymbol und auf der anderen das Zeichen unseres Gottes.»
    Er dachte an Grein, den Dieb. Auch Gnupa war vom Dämon Avaritia besessen: Er war geizig, unersättlich und habgierig. Um Gnupa würde sich Odo jedoch nicht weiter kümmern müssen. Avaritia war vernichtet. Beim Jüngsten Gericht würden alle Habgierigen die Höllenstrafe erhalten, die ihnen zustand: Ihre Herzen würden gekocht werden, in einem Kessel mit siedendem

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