Das Buch der Toten
University High.
Ich fragte an der Auskunftstheke nach und erfuhr, dass die Bibliothek im Lesesaal die Jahrbücher der Highschools aus der näheren Umgebung für die letzten drei Jahrzehnte führte. Und näher als University High war kaum möglich. Es war nicht schwer, den entsprechenden Band zu finden. Ich schätzte Garveys Alter und lag schon mit dem zweiten Versuch genau richtig.
Sein Abschlussfoto zeigte einen aknegeplagten, rundgesichtigen Achtzehnjährigen mit langem, welligem Haar, der einen hellen Rollkragenpullover trug. Zwischen dem Kragenrand und dem fleischigen Kinn des Jungen war eine Korallenkette zu sehen. Sein Grinsen wirkte spitzbübisch. Unter dem Foto waren seine Mitgliedschaften aufgelistet: Business-Club, »Management« des Footballteams und ein Verein, der sich »The King's Men« nannte. Aber kein Wort davon, dass er Schatzmeister gewesen wäre. Auf der Seite des Schülerbeirats war zu lesen, dass die Schatzmeisterin ein Mädchen namens Sarah Buckley war. Nachdem ich die drei vorangehenden Jahrbücher durchgeblättert hatte, wusste ich, dass Garvey Cossack nie irgendeinen Posten in der Schülervertretung innegehabt hatte. Eine banale Flunkerei für einen Millionär in den besten Jahren, aber das machte es nur noch interessanter.
»Bobo« Cossacks Porträt fand ich einen Jahrgang später. Er war zum Fototermin mit einem schwarzen Hemd mit hohem Kragen und einer eng anliegenden Halskette erschienen. Pferdeähnliches Gesicht, die Haare dunkler und noch länger als die seines Bruders, noch unreinere Haut. Bobos Miene war düster, er hatte die Augen halb geschlossen. Schläfrig oder bekifft, oder war es Absicht? Sein Versuch, sich einen Bart wachsen zu lassen, hatte in einem Kranz von dunklem Flaum um das Kinn herum und ein paar spärlichen Fransen unter der Nase resultiert. Laut Bildunterschrift hatte er nur einer einzigen Organisation angehört: den King's Men.
In derselben Klasse war auch ein sehr dünner Brodle Larner gewesen. Er trug eine getönte Fliegerbrille, ein Hemd mit Button-Down-Kragen und eine wasserstoßbleiche Surferfrisur, die sein halbes Gesicht verdeckte. Was davon zu sehen war, blickte auch nicht zuversichtlicher drein als Bobo Cossack. Auch ein King's Man.
Ich suchte das Jahrbuch nach Erwähnungen des Clubs ab, fand einen Eintrag in der Liste der Schülerorganisationen, jedoch keine Einzelheiten. Dann entdeckte ich in einem enthusiastischen Bericht über das Footballspiel beim jährlichen Ehemaligentreffen eine Anspielung auf die »gar ausgelassenen Spaße und Lustbarkeiten der King's Men (die auch sonst keine Kinder von Traurigkeit sind).«
Illustriert wurde die Bemerkung durch einen Schnappschuss, der eine Gruppe von sechs Jungen am Strand zeigte. Sie trugen Badehosen und gestreifte Kappen und blödelten herum, schielend und grinsend, mit albernen Verrenkungen und Häschenohren hinter dem Kopf. Die Bierdosen in ihren Händen waren stümperhaft geschwärzt; in einem Fall war das Miller-Logo noch deutlich zu erkennen. Unter dem Bild war zu lesen: Surf's Up! Die Saison hat begonnen, aber den King's Men steht der Sinn nach flüssigen Erfrischungen anderer Art! Bei der Strandparty am Zuma Beach: G. Cossack, L. Chapman, R. Cossack, V. Coury, B. Larner, N. Hansen.
Die Cossack-Brüder waren die Partylöwen der Highschool gewesen, und die Fete in Bel Air zwei Jahre später schloss sich nahtlos an. Der Grundstein für die Partnerschaft zwischen ihnen und den Larners war demnach am Sandstrand von Zuma gelegt worden und nicht im Konferenzzimmer.
Das brachte mich auf den Gedanken, dass die Idee, die problematische Schwester Caroline zu verstecken, vielleicht von den Jungs und nicht von ihrem Vater gekommen war. He, Dad, Brads Vater arbeitet in so einer Art Klapse, vielleicht kann der uns ja helfen.
Ich durchsuchte das Jahrbuch nach einer Erwähnung oder einem Bild von Caroline Cossack. Nichts.
Ich fuhr durch die adretten Wohnstraßen von Westwood und dachte über Pierce Schwinn nach und darüber, was er wirklich von Milo gewollt hatte. Hatte der ehemalige Detective beschlossen, endlich reinen Tisch zu machen, nachdem er seine Geheimnisse zwanzig Jahre lang mit sich herumgetragen hatte, wie ich vermutet hatte, oder hatte er an seinem Lebensabend noch einmal auf eigene Faust Ermittlungen angestellt und war auf neue Spuren gestoßen?
So oder so, Schwinn war jedenfalls nicht so heiter und gelassen gewesen, wie seine zweite Frau glaubte. Oder so treu: Er hatte eine Vertraute gefunden,
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