Das Buch der Toten
Häuserblocks. Das grau verputzte Gebäude war in Form eines zur Straße hin offenen C um einen mit bröckelnden Ziegelfliesen gepflasterten Hof herum gebaut. Der Hof sah nicht so aus, als sei er als Parkplatz gedacht, aber trotzdem standen dort vier verdreckte Kleinwagen und ein ebenso verdreckter Laster mit Campingaufbau. Das Büro war im rechten Flügel untergebracht, eine winzige Kabine, in der es roch wie in einer Turnhalle. Darin saß ein junger Mexikaner mit rasiertem Schädel und einem aquamarinblauen Cowboyhemd mit blutroten Paspeln. Die Schulterstücke waren sogar mit Pailletten besetzt, aber der modische Gesamteindruck wurde durch die öligen Flecken im Achselbereich und die ketchupfarbenen Tupfer auf der Brust doch etwas beeinträchtigt. Um den Hals trug er eine Kette aus rostfreiem Stahl mit einem schweren eisernen Kruzifix.
Ich trat ein, woraufhin über der Tür eine Glocke ertönte. Der Portier musterte mich blitzschnell, dann ging sein Blick unter den Tresen. Ein Reflex. Wahrscheinlich sah er nach, ob die obligatorische Pistole noch an ihrem Platz war. Oder vielleicht wollte er mir auch nur zu verstehen geben, dass er bewaffnet war. Ein Schild an der Wand hinter ihm verkündete: Nur Barzahlung. Darunter dieselbe Botschaft auf Spanisch. Er rührte sich keinen Millimeter, aber seine Augen flackerten nervös hin und her, und sein link es Augenlid zuckte. Er war allenfalls zwei oder dreiundzwanzig und würde die Adrenalinschübe und die heftigen Blutdruckschwankungen wahrscheinlich noch ein paar Jahre aushallen können.
Ich zeigte ihm den Ausweis, und er schüttelte den Kopf. Auf dem Tresen lag eine Novella, ein Heftchen mit Schwarzweißfotos und Dialog in den Bildunterschriften im Comic-Layout. Ich konnte ein oder zwei Worte der auf dem Kopf stehenden Schrift entziffern, »sexualismo«und »conpasion«.
Er sagte: »Ich nix wissen.« Breiter Akzent.
»Ich habe Sie ja gar nichts gefragt.«
»Ich nix wissen.«
»Das ist gut«, sagte ich. »Selig sind die Unwissenden.« Er starrte stumpf vor sich hin.
»Pierce Schwinn«, sagte ich. »Er hat hier mal gewohnt.« Keine Antwort.
Ich wiederholte den Namen.
»Ich nix wissen.«
»Ein alter Mann, ein Anglo, weiße Haare, weißer Bart?«
Nichts.
»Er hat damals in Randalls Laden gearbeitet.« Verständnisloser Blick.
»Randalls Westernladen, ein paar Häuser von hier?«
»Ich nix wissen.«
»Wie heißen Sie?«
»Ich nix « In den braunen Augen gingen plötzlich die Lichter an. »Gustave.«
»Gustavo, und weiter?«
»Gustavo Martinez Reyes.«
»Sprechen Sie ein bisschen Englisch, Mr. Martino Reyes?« Kopfschütteln.
»Irgendjemand hier im Haus vielleicht?«
»Ich nix wiss-«
So viel zu meinen detektivischen Meisterleistungen. Aber nun war ich schon einmal so weit gefahren, da konnte ich es doch noch einmal in Ojai versuchen und mir einen Laden ansehen, von dem ich wusste, dass Marge Schwinn dort die Alben gekauft hatte, O'Neill & Chopin… beim Celestial Café… aus England… werden nicht mehr geliefert… ich habe die letzten drei gekauft. Vielleicht doch nicht. Oder vielleicht war Schwinn ja auch selbst einkaufen gegangen.
Ich fuhr geradeaus weiter bis zur nächsten Auffahrt und war innerhalb von Minuten wieder auf dem Highway 33. Die Luft war kalt und rein, alle Farben voll aufgedreht, und aus den nahen Obstplantagen stieg mir der Duft der reifenden Früchte in die Nase.
O'Neill & Chapin gehörte zu einer jener beschaulichen kleinen Ansammlungen von Läden, wie sie im Lauf der Jahre entlang der Straße aus dem Boden geschossen waren. Diese hier lag an einem schattigen Plätzchen gleich hinter dem Zentrum von Ojai, aber noch mehrere Meilen vor der Abzweigung zu Marge Schwinns Ranch. Der Laden selbst war ein winziges Häuschen mit Schindeldach und holzverkleideter Fassade, überragt von Immergrünen Eichen. Die Bretter waren tannengrün gestrichen, und vor dem Haus verlief ein anderthalb Meter breiter Streifen Kopfsteinpflaster, von der Straße bis an die in einem zarten Mintton gestrichene, quer geteilte Tür. Im Fenster verkündeten Blattgoldbuchstaben:
O'Neill & Chapin Edle Papiere und Farben Gegr. 1986 Hinter den Scheiben waren dunkle Eichenholzläden zu erkennen. Auf einem Schild in einem der Fenster stand:
Auf Einkaufsreise in Europa. Wir sind bald wieder für Sie da. Ich sah mir die anderen Geschäfte an. Bei dem Kerzenladen zur Rechten waren ebenfalls die Fensterläden geschlossen. Dann kam Marta, Spirituelle Beratung, und das
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