Das Buch der Toten
flaue Gefühl im Magen ein: Idiot! Idiot! Ich wählte wieder ihre Nummer. Niemand meldete sich. Ich versuchte es bei der Rezeption und erhielt die Auskunft, dass Ms. Castagna ausgegangen sei.
Ich stellte mir vor, wie sie mit tränenüberströmtem Gesicht durch die Eingangshalle lief. Wie war das Wetter in Vancouver? Hatte sie daran gedacht, ihren Mantel mitzunehmen? War Sheridan ihr gefolgt, stets zur Hand mit Trost und Beistand?
»Sir?«, meldete sich die Rezeptzionistin. »Möchten Sie nun zur Voicemail durchgestellt werden?«
»Äh… sicher, warum nicht?«
Ich wurde verbunden und hörte, wie Robins Stimme eine aufgezeichnete Nachricht aufsagte. Ich wartete auf den Signalton.
Ich wählte meine Worte mit Bedacht, doch als es so weit war, brachte ich keinen Ton heraus und ließ den Hörer fallen.
Ich saß in meinem Wohnzimmer. Das Licht hatte ich ausgeschaltet, aber durch die hohen, vorhanglosen Fenster schien die Nachmittagssonne herein, verdammte Architektur. Ich floh in mein Arbeitszimmer, zog die Vorhänge zu, saß dort in der graubraunen Düsternis und lauschte auf das Hämmern in meinem Kopf. Einen ziemlichen Mist hast du da gebaut, Alexander… und das Ärgerliche daran war, dass Bert Harrison mich ausdrücklich gewarnt hatte. Bert war ein weiser Mann.
Warum hatte ich nicht auf ihn gehört?
Was sollte ich bloß tun? Blumen schicken? Nein, damit würde ich nur Robins Intelligenz beleidigen und alles noch schlimmer machen.
Zwei Flugtickets nach Paris… Ich lachte. Es dauerte lange, bis es mir gelang, meine Gefühle an eine Stelle irgendwo unterhalb meiner Knöchel abzuschieben und in eine wohltuende Taubheit zu versinken.
Ich starrte die Wand an, stellte mir vor, ich sei ein Staubkörnchen, versuchte angestrengt, mich in nichts aufzulösen. Dann konzentrierte ich mich wieder auf Janie Ingalls' trauriges, armseliges Leben. Sie hatte von Anfang an miserable Karten gehabt. Und was konnte ich zu meiner Entschuldigung vorbringen?
Ich rief wieder die Nummer von Robins Zimmer an, bekam dieselbe Rezeptzionistin dran und legte auf. Zeit für ein wenig virtuelle Gesellschaft.
Ich fuhr den Computer hoch und rief Google auf, eine Suchmaschine, die sogar ein Hamburger-Restaurant auf dem Pluto finden konnte.
»Walter Obey« brachte gut dreihundert Treffer; neunzig Prozent betrafen tatsächlich den Milliardär, ein Viertel davon war redundant. Das meiste waren Zeitungsartikel und Beiträge aus Wirtschaftsmagazinen, die sich ungefähr zu gleichen Teilen mit Obeys philanthropischen Aktivitäten und seinen Finanztransaktionen beschäftigten. Walter und Barbara Obey hatten für die Philharmonie gespendet, für das Music Center, für Pro Familia, für den Verein zum Schutz der Santa Monica Mountains, den Tierschutzverein, Heime für obdachlose Jugendliche und eine ganze Reihe von Stiftungen, die sich dem Kampf gegen verschiedene grausame Krankheiten verschrieben hatten. Und auch für den Sierra Club. Ein Bauunternehmer, der den Naturschutz förderte, das fand ich bemerkenswert.
Ich stieß auf keine Verbindungen zu irgendwelchen Sportverbänden und konnte auch keine Beziehungen zwischen den diversen gescheiterten Plänen entdecken, Sportmannschaften nach L. A. zu holen. In keinem der Artikel wurde Obeys Name in Verbindung mit denen der Cossack-Brüder oder der Larners genannt. Er lebte mit seiner Frau sehr zurückgezogen und in relativ bescheidenen Verhältnissen, für einen Milliardär. Eine einzige, wenngleich fürstliche Residenz in Hancock Park, kein Hauspersonal, Kleider von der Stange, keine teuren Hobbys. Barbara fuhr einen Volvo und arbeitete ehrenamtlich für ihre Kirchengemeinde. Wenn man der Presse Glauben schenken konnte, führten die Obeys ein vorbildlich solides Leben.
Ein Artikel aus dem Wall Street Journal, erschienen vor einem Jahr, erweckte mein Interesse: Eine von Obeys Firmen, ein in Privatbesitz befindliches Unternehmen namens Advent Builders, hatte in ein riesiges Areal südlich von L. A. investiert, ein nicht eingemeindetes Gebiet, auf dem der Bauunternehmer ein komplettes Gemeinwesen aus dem Boden zu stampfen gedachte, mit niedrig bis mittelpreisigem Wohnraum für eine ethnisch gemischte Bevölkerung, mit öffentlichen Schulen, in das Landschaftsbild integrierten Gewerbe und Industriegebieten und »ausgedehnten Freizeiteinrichtungen«.
Obey hatte zehn Jahre gebraucht, um sechzig Quadratkilometer an zusammenhängenden Grundstücken aufzukaufen, und er hatte Millionen ausgegeben, um den Boden
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