Das Buch der Toten
diese Summe schon übersteigen.«
»Und die Galerien streichen in der Regel um die dreißig Prozent ein«, sagte Alex. »Also, das passt wirklich nicht zusammen.« Er schwieg einen Moment. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich mir sein Haus schon mal angeschaut habe. Ist ganz nett, ein großes altes Teil im spanischen Stil, nicht umgebaut. Der BMW stand in der Einfahrt. Frisch gewachst, dunkelgrün, fast derselbe Farbton wie mein Seville.«
Milo lachte. »Ob ich was dagegen habe? Würde das denn irgend etwas ändern? Nein, ist schon in Ordnung, solange du nicht an die Tür geklopft und den Mistkerl des Mordes beschuldigt hast. Das würde ich nämlich gern übernehmen. Denn ob du's glaubst oder nicht, die Geschichte wird allmählich spannend.«
Er erzählte Alex von Luke Chapmans Tod durch Ertrinken.
»Wieder ein Unfall«, meinte Alex. »Normalerweise würde ich jetzt ›ah‹ sagen, aber du bist zur Zeit ziemlich gereizt.«
»Sag's ruhig. Ich geb dir Novocain, bevor ich anfange zu bohren.«
Alex lachte pflichtschuldig. »Ich habe auch einen kurzen Blick auf Hansen erhascht. Oder jemand anders, der dort wohnt. Als ich gerade vorbeifuhr, kam ein Mann zur Tür heraus, ging zu dem BMW und nahm eine dünne Holzplatte aus dem Kofferraum. Nicholas Hansen malt auf Mahagoni.«
»Ein Künstler«, sagte Milo, »und finanziell unabhängig. Spaziert in Freizeitklamotten in seiner Einfahrt herum und macht, wonach ihm gerade der Sinn steht. Das Leben ist doch verdammt ungerecht, oder?«
Milo hatte nach Einbruch der Dunkelheit noch etwas vor, also dankte er Alex, ermahnte ihn zur Vorsicht und sagte, er würde ihn am nächsten Morgen anrufen.
»Kann ich sonst noch was für dich tun, Großer?«
Milo verkniff sich die Bemerkung »Pass gut auf dich auf« und sagte nur: »Nein, im Moment nicht.«
»Okay«, erwiderte Alex. Er klang enttäuscht. Milo wollte ihn nach Robin fragen, tat es aber nicht.
Stattdessen legte er auf und dachte wieder an Janie Ingalls. Und dass das Leben mancher Menschen so kurz, hart und brutal sein konnte, dass man sich fragte, warum Gott sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, sie in die Welt zu setzen.
Wieder einmal schlich er durch das Rushhour-Chaos von Downtown nach Hause und überlegte, was er mit Rick anstellen sollte. Er kam zu dem Schluss, dass die beste Lösung wäre, ihn für ein paar Tage in einem netten Hotel unterzubringen. Rick würde todunglücklich sein, aber er würde nicht schreien. Rick schrie niemals, er zog sich nur bildlich gesprochen die Decke über die Ohren, wurde still und unnahbar.
Es würde kein Vergnügen sein, aber am Ende würde Rick damit einverstanden sein. Sie waren nun schon so viele Jahre zusammen und hatten beide gelernt, wann der Moment zum Nachgeben gekommen war.
Um fünf Uhr bog er in seine Straße ein. Auf halbem Weg zu seinem Haus trat er auf die Bremse. In der Einfahrt stand etwas Weißes, der Porsche.
Er blickte sich um, konnte keine fremden Fahrzeuge in der Straße sehen, gab Gas und bog schwungvoll in die Einfahrt ein. Dicht hinter dem periweißen 928er hielt er an. Soweit er erkennen konnte, war der Wagen unversehrt, keine Beulen oder Kratzer von irgendwelchen Spritztouren, keine fehlenden Teile. Nicht nur unversehrt, nein, auch blitzblank, wie frisch gewaschen. Rick hielt sein Auto immer makellos sauber, aber Milo musste überlegen, wann er es zuletzt gewaschen hatte… ja, letztes Wochenende. Danach hatte es den größten Teil der Woche in der Garage gestanden; die letzten zwei Tage allerdings hatte Rick es draußen stehen lassen, um morgens schneller im Krankenhaus zu sein. Auf dem weißen Lack wäre der Schmutz von zwei Tagen nicht zu übersehen gewesen.
Irgendjemand hatte die verdammte Kiste rundum auf Vordermann gebracht.
Er blickte sich um, legte die Hand an seine Dienstwaffe, stieg vorsichtig aus, ging auf den Porsche zu und berührte das gewölbte Blech.
Glatt und glänzend. Frisch gewaschen und gewachst.
Ein Blick durchs Fenster, und er konnte frisch gestaubsaugt hinzufügen; er konnte die Spuren im Teppich erkennen.
Sogar die Lenkradsperre war wieder an Ort und Stelle. Und dann entdeckte er etwas auf dem Fahrersitz.
Eine braune Papiertüte.
Er spähte noch einmal in alle Richtungen, bevor er sich hinkniete und die Unterseite des Porsche in Augenschein nahm. Keine tickenden Zeituhren, keine Peilsender. Als er die Heckklappe öffnete, erblickte er einen unversehrten Motor. Er hatte selbst an dem Wagen gearbeitet; hatte den
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