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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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zerplatzende Herzen dieser Junge, dieser Indianerjunge aus New Mexico, Brodle Two Wolves, der auf eine Mine getreten war und dem es unterhalb des Nabels alles weggerissen hatte, der trotzdem weiterredete, während Milo vorgab, etwas für ihn zu tun. Mit seinen sanften braunen Augen blickte er zu Milo auf, lebendige Augen, Gott steh uns bei, er sprach mit ruhiger Stimme, hatte sich, man glaubt es kaum, mit Milo unterhalten, obwohl seine untere Körperhälfte fehlte und alles aus ihm rauslief. Das war doch wohl schlimmer gewesen, oder? Sich mit der oberen Hälfte von Brodle Two Wolves unterhalten zu müssen, über Bradleys hübsche kleine Freundin in Galisteo zu plaudern, über Bradleys Träume sobald er wieder in den Staaten war, würde er Tina heiraten, würde bei Tinas Dad einen Job bekommen, sie bauten Mauern aus Adobeziegeln, und eine Schar von Kindern würden sie haben. Kinder. Wo ihm doch alles unterhalb des… Milo lächelte Brodle an, und Brodle lächelte zurück und starb.
    Das war schlimmer gewesen. Und damals hatte Milo es geschafft, nicht die Nerven zu verlieren, hatte das Gespräch in Gang gehalten. Hinterher hatte er aufgewischt, hatte den halben Brodle in einen viel zu geräumigen Leichensack gepackt. Hatte den Leichenzettel für Brodle ausgefüllt, damit der Bordarzt ihn unterschreiben konnte. In den nächsten Wochen hatte Milo ziemlich viel Dope geraucht, ein bisschen Heroin reingezogen, war auf Fronturlaub in Bangkok gewesen, wo er Opium ausprobiert hatte. Er hatte sogar einen Versuch mit einer mageren thailändischen Nutte gewagt. Das war nicht so großartig gelaufen, aber um es kurz zu machen, er hatte durchgehalten.
    Du kannst so was wegstecken, du Idiot! Atme langsam und regelmäßig, gib Schwinn nicht wieder einen Anlass, dir Vorträge zuhalten.
    Schwinn war inzwischen zurückgekommen und knipste Fotos mit seiner Instamatic. Der Polizeifotograf hatte die kleine schwarze Plastikbox erspäht und mit selbstgefälligem Grinsen seine Nikon gestreichelt. Schwinn ignorierte seine verächtlichen Blicke; er war in seine eigene Welt abgetaucht, kroch um die Leiche herum, um sie von allen Seiten abzulichten. Ging noch näher heran, näher, als Milo es gewagt hatte, und machte keine Anstalten, die Mücken zu verscheuchen, die um sein weißes Haupt herumschwirrten.
    »Also, was denkst du, mein Junge?«
    »Über…?«, entgegnete Milo.
    Klick, klick, klick. »Über den Täter, was sagt dir dein Bauch über ihn?«
    »Ein Irrer.«
    »Meinst du?«, fragte Schwinn beiläufig. »Ein heulender, sabbernder, durchgeknallter Wahnsinniger?« Er ließ Milo stehen, kniete sich neben den gehäuteten Schädel. So nahe, dass er das entstellte Fleisch hätte küssen können. Er lächelte. »Sieh dir das an nur Knochen und ein paar Blutgefäße; hinten eingeschnitten… ein paar Risse, hier und da eine Auszackung… richtig scharfe Klinge.« Klick, klick. »Ein Irrer… vielleicht irgendein Apachenkrieger, der nachts den Mond anheult? Du Schlampe von Squaw, ich dich skalpieren?«
    Milo kämpfte gegen die Übelkeit an, die erneut in ihm aufwallte.
    Schwinn stand auf, ließ die Kamera an ihrem kurzen schwarzen Riemen baumeln, spielte an seiner Krawatte herum. Sein scharf geschnittenes Okie-Gesicht drückte Befriedigung aus.
    Cool und gelassen. Wie oft hatte er so etwas schon gesehen? Wie oft bekam man es bei der Mordkommission mit so was zu tun? Die ersten sieben, sogar Kyle Rodriguez, waren ja im Vergleich hiermit erträglich gewesen…
    Schwinn deutete auf die angewinkelten Beine des Mädchens.
    »Siehst du, wie er sie zurechtgelegt hat? Er spricht mit uns, mein Junge. Spricht durch sie, legt ihr Worte in den Mund. Was will er mit ihr wohl sagen, mein Junge?«
    Milo schüttelte den Kopf.
    Schwinn seufzte. »Er will, dass sie sagt: ›Fick mich!‹ Der ganzen Welt soll sie das sagen ›Komm doch, du ganze verdammte Welt, und fick mich dumm und dämlich, egal, was irgendwer mit mir anstellen will, er kann es ruhig tun, weil ich nämlich machtlos bin.‹ Er benutzt sie wie… wie eine Puppe, du weißt doch, wenn Kinder mit Puppen spielen, dann lassen sie sie oft Sachen sagen, die sie sich selbst nicht zu sagen trauen. Dieser Kerl ist genauso, nur dass er auf lebensgroße Puppen steht.«
    »Er traut sich nicht?«, fragte Milo skeptisch.
    »Was denkst du denn?«, gab Schwinn zurück. »Wir reden hier von einem Feigling, der kann nicht mit Frauen reden, auf normalem Wege läuft bei dem nichts. Was nicht heißen soll, dass er ein

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