Das Buch der Toten
schließen. Dann setzte ich die Fahrt unter den Blicken der kreisenden Bussarde fort - vielleicht waren es dieselben Vögel, die ich bei unserem ersten Besuch gesehen hatte.
Bald rückte die Koppel unter der gleißenden Nachmittagssonne ins Blickfeld. Marge Schwinn stand in der Mitte des Rings. Sie trug ein verwaschenes Jeanshemd, enge Bluejeans und Reitstiefel, und sie wandte mir den Rücken zu, während sie auf einen mächtigen Hengst mit schokoladenbraunem Fell einredete. Sie schmiegte sich an das Tier und streichelte seine Mähne. Als sie das Knirschen der Autoreifen auf dem Kies hörte, drehte sie sich um. Ich stieg aus und sah, dass sie die Koppel bereits verlassen hatte und auf mich zukam.
»Dr. Delaware, hallo!«
Ich erwiderte ihren Gruß lächelnd und möglichst ungezwungen. Bei unserer ersten Begegnung hatte Milo mich nicht mit Namen oder Titel vorgestellt. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass es eine gute Idee gewesen war, hierher zu kommen.
Sie zog ein blaues Tuch aus der Hosentasche, wischte sich die Hände daran ab und reichte mir die Rechte zu einem festen, kräftigen Händedruck. »Was bringt Sie hierher?«
»Es gibt da noch ein paar Unklarheiten.«
Sie steckte das Tuch wieder ein und grinste. »Denkt irgendjemand, ich sei verrückt?«
»Nein, Ma'am, ich will Ihnen nur ein paar Fragen stellen.« Ich schaute direkt in die Sonne und musste den Kopf zur Seite drehen. Marges Gesicht lag im Schatten, aber sie kniff trotzdem die Augen zusammen, die in einem Netz von Fältchen fast versanken. Das Jeanshemd war eng geschnitten; und ihre hohen, festen Brüste zeichneten sich darunter ab, diese Kombination von mädchenhafter Figur und dem Gesicht einer alten Frau, die mir bereits beim ersten Mal aufgefallen war.
»Was für Fragen, Doktor?«
»Zunächst einmal: Ist Ihnen noch etwas eingefallen, seit ich mit Detective Sturgis hier gewesen war?«
»Sie meinen…?«
»Irgendetwas, was Ihr Mann vielleicht einmal über diesen ungelösten Mordfall gesagt hat, über den wir uns unterhalten haben.«
»Nein«, entgegnete sie. »Darüber kann ich Ihnen weiter nichts sagen.« Ihr Blick wanderte zur Koppel. »Ich würde liebend gerne mit Ihnen plaudern, aber ich stecke mitten in der Arbeit.«
»Nur noch ein paar Fragen. Allerdings auch zu einem eher unangenehmen Thema, fürchte ich.«
Sie stemmte die Fäuste in ihre sehnigen, schlanken Hüften.
»Welches Thema meinen Sie?«
»Die Drogensucht Ihres verstorbenen Mannes. Hat er sich allein aus seiner Abhängigkeit befreit?«
Sie stemmte einen Stiefelabsatz in den Kies und bohrte darin herum. »Wie ich Ihnen bereits sagte, als ich Pierce kennen lernte, war er über all das schon hinweg.«
»Hat ihm irgend jemand dabei geholfen?«
Eine simple Frage, aber dennoch fragte sie zurück: »Wie meinen Sie das?« Sie hatte die Augen immer noch zusammengekniffen, aber sie waren nicht so weit geschlossen, dass mir das Flackern unter den Lidern entgangen wäre. Sie schaute zu Boden und wich dann nach rechts aus.
Auch so eine schlechte Lügnerin. Ein Glück, dass es noch ein paar ehrliche Menschen gab.
»Hat Pierce einen Entzug gemacht?«, fragte ich. »War er wegen dieser Sache je bei einem Arzt in Behandlung?«
»Er hat so gut wie nie über diese Zeit gesprochen.«
»Überhaupt nicht?«
»Er hatte damit abgeschlossen. Ich wollte nicht an alte Wunden rühren.«
»Sie wollten ihm nicht wehtun«, sagte ich. Ihr Blick schweifte wieder über die Koppel. Ich fragte: »Wie hat Pierce geschlafen?«
»Bitte?«
»Hatte Pierce einen gesunden Schlaf, oder hatte er öfter Probleme mit dem Einschlafen?«
»Er war ein ziemlicher« Sie runzelte die Stirn. »Das sind aber merkwürdige Fragen, Dr. Delaware. Pierce ist tot, was spielt es da für eine Rolle, ob er gut oder schlecht geschlafen hat?«
»Es geht mir nur darum, ein paar Unklarheiten zu beseitigen«, sagte ich. »Mich interessieren im Besonderen die letzten ein, zwei Wochen vor seinem Unfall. Hat er in dieser Zeit gut geschlafen, oder war er sehr unruhig?«
Ihr Atem stockte, und die Hände an ihren Hüften verfärbten sich weiß. »Was passiert ist, Sir, ist genau das, was ich Ihnen erzählt habe: Pierce ist von Akhbar gestürzt. Jetzt ist er tot, und ich bin diejenige, die damit leben muss, und es ist mir keineswegs recht, dass Sie das alles wieder aufwühlen.«
»Es tut mir Leid«, sagte ich.
»Sie entschuldigen sich in einem fort, aber Sie hören nicht auf, mir Fragen zu stellen.«
»Nun«, sagte ich, »es
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