Das Buch der Toten
geht mir um Folgendes: Vielleicht war es ja wirklich ein Unfall, aber Sie haben dennoch Akhbar auf Drogen testen lassen. Sie haben dem Leichenbeschauer sogar eine Stange Geld dafür bezahlt.«
Sie trat einen Schritt von mir zurück, dann noch einen. Sie schüttelte den Kopf, zupfte sich einen Strohhalm aus den Haaren. »Das ist doch lächerlich.«
»Und noch etwas«, fuhr ich fort. »Detective Sturgis hat mich Ihnen nie mit Namen vorgestellt, aber Sie wissen trotzdem, wie ich heiße und was ich mache. Das finde ich ziemlich bemerkenswert.«
Ihre Augen weiteten sich, und ihre Brust begann, sich zu heben und zu senken. »Er hat mir gesagt, dass Sie das vielleicht tun würden.«
»Wer?«
Keine Antwort.
»Dr. Harrison?«, fragte ich. Sie kehrte mir den Rücken zu.
»Mrs. Schwinn, denken Sie nicht, dass wir den Dingen auf den Grund gehen müssen? Ist es nicht das, was Pierce gewollt hätte? Irgendetwas hat ihn nachts nicht schlafen lassen, habe ich nicht Recht? Unerledigtes aus der Vergangenheit. War das nicht letztlich der Zweck des Mordalbums?«
»Ich weiß von keinem Album.«
»Wirklich nicht?«
Sie presste die Lippen zusammen. Dann schüttelte sie erneut den Kopf und machte eine halbe Drehung, sodass die Sonne voll auf ihr zur Maske erstarrtes Gesicht fiel. Ihr Oberkörper wurde von einem Schauder erfasst, doch ihre leicht gespreizten Beine fingen die Bewegung auf. Sie machte auf dem Absatz kehrt und eilte beinahe im Laufschritt auf ihr Haus zu. Doch als ich ihr folgte, versuchte sie nicht, mich daran zu hindern.
Wir saßen genau dort, wo wir vor einigen Tagen gesessen hatten: ich auf der Wohnzimmercouch, sie auf dem Stuhl gegenüber. Das letzte Mal hatte Milo das Reden nahezu allein übernommen, wie er es fast immer tut, wenn er mich zu solchen Anlässen mitschleppt, aber jetzt war ich am Drücker, und bei Gott, so unangenehm das bevorstehende Gespräch für die Frau, die mir gegenübersaß, auch sein mochte, ich sah ihm mit dem Hochgefühl des Jägers entgegen, der seine Beute gestellt hat.
Marge Schwinn sagte: »Leute wie Sie sind irgendwie unheimlich. Sie können Gedanken lesen.«
»Leute wie ich?«
»Seelenklempner.«
»Dr. Harrison und ich«, sagte ich.
Sie gab keine Antwort, und ich fuhr fort: »Dr. Harrison hat Sie vorgewarnt und Ihnen gesagt, dass ich vielleicht wiederkommen würde.«
»Dr. Harrison tut nur Gutes.« Ich widersprach ihr nicht.
Sie wandte mir ihr Profil zu. »Ja, er hat mir gesagt, wer Sie sind, nachdem ich ihm Sie und diesen kräftigen Detective, Sturgis, beschrieben hatte. Er sagte, wenn Sie dabei wären, könnte die Sache ein bisschen anders aussehen.«
»Anders?«
»Er sagte, Sie seien hartnäckig. instinktsicher.«
»Sie kennen Dr. Harrison schon länger.«
»Ziemlich lange.« Die Wohnzimmerfenster standen offen, und von der Koppel her war ein Wiehern zu hören, laut und deutlich. Sie murmelte: »Ganz ruhig, mein Schatz.«
»Ihre Beziehung zu Dr. Harrison war beruflicher Natur«, sagte ich.
»Wenn Sie damit meinen, dass er mein Arzt war, lautet die Antwort ja. Er hat uns beide behandelt, Pierce und mich. Und zwar getrennt, wir wussten damals nichts voneinander. Bei Pierce waren es die Drogen. Und bei mir… ich machte damals eine… eine depressive Phase durch. Eine situative Reaktion, wie Dr. Harrison es nannte. Es war nach dem Tod meiner Mutter. Sie war dreiundneunzig, als sie starb, und ich hatte sie so lange gepflegt, dass das plötzliche Alleinsein… die ganze Verantwortung hat mir die Luft zum Atmen genommen. Ich versuchte, allein damit fertig zu werden, aber dann wurde es einfach zu viel. Ich wusste, was Dr. Harrison beruflich machte, und ich hatte sein Lächeln schon immer gemocht. Also habe ich eines Tages all meinen Mut zusammengenommen und ihn angesprochen.«
Die Beichte, das Eingeständnis ihrer Schwäche, ließ ihre Kiefermuskeln verkrampfen. Ich fragte: »War es Dr. Harrison, der Sie Pierce vorgestellt hat?«
»Ich habe Pierce gegen Ende meiner… ich habe ihn kennen gelernt, als es mir wieder besser ging, als ich den Kopf wieder frei hatte für andere Dinge. Ich hatte immer noch gelegentlich Gespräche mit Dr. Harrison, aber ich kam bereits ohne die Antidepressiva aus, wie er es vorausgesagt hatte.«
Sie beugte sich unvermittelt vor. »Kennen Sie Dr. H. wirklich? Kennen Sie ihn gut genug, um zu verstehen, was für ein Mensch er ist? In der ersten Zeit, als ich bei ihm in Therapie war, kam er jeden Tag vorbei, um zu sehen, wie es mir ging. Jeden
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