Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
Tag. Einmal hatte ich die Grippe und konnte mich nicht um den Hof kümmern, und da hat er mir alles abgenommen. Alles hat er gemacht, Staub gesaugt, das Geschirr gespült und abgetrocknet, die Pferde gefüttert und die Ställe ausgemistet. Vier Tage hintereinander hat er das gemacht, und er ist sogar in die Stadt gefahren und hat für mich eingekauft. Wenn ich ihn nach Stunden bezahlt hätte, wäre ich vollkommen pleite gewesen.«
    Ich wusste, dass Bert ein guter Mensch und ein hervorragender Therapeut war, aber ihre Schilderung verblüffte mich. Ich stellte mir den kleinwüchsigen alten Mann vor, wie er in seinen roten Klamotten putzte und Staub saugte und die Ställe mit dem Schlauch abspritzte, und ich fragte mich, was ich wohl in dieser Situation getan hätte. Und ich wusste verdammt genau, dass ich mich nie so intensiv um eine Patientin gekümmert hätte.
    Was ich in diesem Moment tat, hatte überhaupt nichts mit Sorge um meine Mitmenschen zu tun. Jedenfalls nicht um die Lebenden.
    Wie viel waren wir den Toten schuldig?
    Ich sagte: »Sie lernten Pierce also kennen, nachdem Ihre Probleme behoben waren.« Es klang so hölzern, so formelhaft. Psychojargon.
    Sie nickte. »Dr. H. sagte, ich sollte versuchen, wieder in meinen alten Trott zu kommen, er meinte, es seien gute Gewohnheiten gewesen, die ich vorher gehabt hatte. Bevor Mama so schwer krank wurde, war ich immer nach Oxnard gefahren, um bei Randalls Futter einzukaufen. Die alte Lady Randall hat die Kasse gemacht; sie und Mama waren alte Freundinnen gewesen, und ich bin immer gerne hingegangen und habe ein Schwätzchen mit ihr gehalten und mir von den alten Zeiten erzählen lassen. Und dann ist Mrs. Randall krank geworden, und ihre Jungs haben die Kasse übernommen, und mit denen konnte ich nichts anfangen. Dazu kam noch, dass meine Kräfte allmählich nachließen, also bin ich dazu übergegangen, mein Futter beim Großhandel zu bestellen und liefern zu lassen. Aber als Dr. Harrison dann sagte, es würde mir gut tun, aus dem Haus zu kommen, da habe ich wieder angefangen, bei Randalls einzukaufen. Und so bin ich Pierce begegnet.«
    Sie lächelte. »Vielleicht hatte er das ja alles geplant, Dr. Harrison, meine ich. Er kannte schließlich Pierce und mich. Dachte sich vielleicht, dass es zwischen uns funken könnte. Er hat es immer bestritten, aber vielleicht war es ja bloß seine typische Bescheidenheit. Wie auch immer, irgendwas muss da jedenfalls gewesen sein, irgendeine Seelenverwandtschaft. Denn Sie müssen wissen, als ich Pierce kennen lernte, sah er aus wie ein abgetakelter Hippie, und ich als alteingesessene republikanische Farmertochter, die schon mal Ronald Reagan die Hand geschüttelt hat, hätte so einen Mann normalerweise nie attraktiv gefunden. Aber Pierce hatte so was… er hatte etwas Edles. Ich weiß, Ihr Freund von der Polizei hat Ihnen wahrscheinlich jede Menge Geschichten über Pierce erzählt, wie er früher war. Aber er hat sich von Grund auf gewandelt.«
    Ich sagte: »Die Menschen ändern sich.«
    »Das ist etwas, was ich erst sehr spät gelernt habe. Als Pierce sich endlich ein Herz gefasst und mich zu einem Kaffee eingeladen hat, war er so schüchtern und verlegen… beinahe rührend.« Sie zuckte die Schultern. »Es war wohl so, dass wir uns genau zur richtigen Zeit begegnet sind, eine günstige Planetenkonstellation oder so was in der Art.« Sie deutete ein Lächeln an. »Oder vielleicht ist Dr. Harrison ja ein ganz Raffinierter.«
    »Wann haben Sie Dr. Harrison erzählt, dass Sie sich mit Pierce getroffen hatten?«
    »Ziemlich bald danach. Er sagte: ›Ich weiß Bescheid. Pierce hat es mir gesagt. Er empfindet das Gleiche für Sie, Margie.‹ Und dann hat er mir erzählt, dass er Pierce schon länger kannte. Er hat früher als freiwilliger Psychiatriehelfer im Oxnard Doctor's Hospital gearbeitet, psychologische Betreuung für Kranke und Verletzte, für Leute mit Verbrennungen, nach der Feuersbrunst von Montecito haben sie dort eine Station für Verbrennungen eingerichtet, und da war er als Psychiater tätig. Pierce gehörte zu keiner dieser Gruppen, er wurde in die Notaufnahme eingeliefert, weil er durch seinen Drogenmissbrauch schreckliche Krämpfe bekommen hatte. Dr. Harrison hat ihn entgiftet und ihn anschließend als Patient bei sich aufgenommen. Er hat mir das alles erzählt, weil Pierce ihn darum gebeten hatte. Pierce empfand sehr viel für mich, schämte sich aber immer noch sehr wegen seiner Vergangenheit und brauchte Dr.

Weitere Kostenlose Bücher