Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
verdient, daß man ihm eine Spielzeugeisenbahn opfert. Welches Imperium ist schon von Nutzen, welches Ideal von Vorteil? All das ist menschlich, und die menschliche Natur ist, wie sie ist – wechselhaft, aber unverbesserlich, schwankend, aber rückschrittlich. Angesichts des unerbittlichen Laufes der Dinge, des Lebens, das uns gegeben wurde, ohne daß wir wußten wie, und das uns genommen werden wird, ohne daß wir wissen wann, angesichts des unendlichen Verwirrspiels, das unser Leben mit anderen und gegen andere ist, des Verdrusses, unnütz, immer wieder vor Augen zu haben, was nie zu verwirklichen ist […] – angesichts all dessen, was bleibt dem Weisen da anderes, als Ruhe für sich zu erbitten, nicht ans Leben denken zu müssen, denn leben müssen ist schon genug, einen kleinen Platz an der Sonne zu haben und an der frischen Luft und die Illusion, zumindest diese, daß jenseits der Berge Friede herrscht.
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23 . 12 . 1933
All diese unseligen Momente in unserem Leben, in denen wir lächerlich waren, unbeholfen oder schwer von Begriff, sollten wir im Licht innerer Heiterkeit betrachten, als eine Art Reisekrankheit. Wir sind Reisende in dieser Welt, freiwillige und unfreiwillige, zwischen nichts und nichts oder allem und allem, und sollten in unserer Eigenschaft als Passagiere nicht allzusehr achten auf die Unannehmlichkeiten des Unterfangens und die Unebenheiten der Wegstrecke. Mit diesem Gedanken tröste ich mich, vielleicht, weil er tröstlich ist, oder aber, weil ich mich mit ihm tröste. Doch auch eingebildeter Trost tröstet, denke ich nicht zuviel über ihn nach.
Zudem ist so vieles tröstlich! Der hohe blaue Himmel, heiter und rein, den immer die ein oder andere Wolke fleckt. Der leichte Wind der in der Natur die starren Äste bewegt und in der Stadt die Wäsche vor den vierten oder fünften Stockwerken flattern läßt. Die Wärme wenn es warm ist, und die Frische, wenn es frisch ist, und immer irgendwo eine Erinnerung mit ihrer Sehnsucht, ihrer Hoffnung und einem magischen Lächeln am Fenster der Welt, und das, was an die Tür unseres Seins klopfen möge wie Bettler, die Christus sind.
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31 . 3 . 1934
Wie lange schon schreibe ich nicht mehr! Ich habe in den letzten Tagen Jahrhunderte unbestimmten Verzichts durchlebt. Ich stand still wie ein verlassener See inmitten nicht existenter Landschaften.
Unterdessen aber habe ich die vielfältige Monotonie der Tage genossen, die nie gleiche Abfolge der immer gleichen Stunden – das Leben. Ja, ich habe es genossen. Und hätte ich geschlafen, es wäre nicht anders gewesen. Ich stand still wie ein nicht existenter See inmitten verlassener Landschaften.
Wie alle, die sich kennen, kenne ich mich oftmals nicht … Ich sehe mich deutlich hinter all den Masken, durch die ich lebe. Von jeder Veränderung bleibt mir das Unveränderliche und von jedem Tun alles, mit anderen Worten: nichts.
Ich entsinne mich entfernt in meinem Inneren, als hätte ich es je bereist, der Monotonie jenes Hauses auf dem Land, die so anders war als diese hier … Ich habe dort meine Kindheit verbracht, aber könnte, selbst wenn ich es wollte, nicht sagen, ob sie glücklicher oder unglücklicher war als mein Leben heute. Mein Ich, das damals dort lebte, war anders: zwei andere, unterschiedliche, nicht zu vergleichende Leben. Die gleiche, sie äußerlich verbindende Monotonie nahm sich im Inneren zweifellos anders aus. Es waren nicht zwei Monotonien, nein, sondern zweierlei Leben.
Wozu diese Erinnerungen?
Ich bin müde. Und erinnern heißt ausruhen, denn wer sich erinnert, handelt nicht. Wie oft entsinne ich mich, um besser entspannen zu können, dessen, was nie war, und in meinen Erinnerungen an die Orte, an denen ich lebte, ist nichts von der Klarheit und Sehnsucht der Erinnerungen, die, knarrend Diele um Diele, die weiten Räume von einst bewohnen, in denen ich niemals wohnte.
Ich bin so sehr Fiktion meiner selbst geworden, daß jedes natürliche Gefühl, kaum kommt es in mir auf, sogleich zu einem imaginären Gefühl wird – Erinnerungen werden zu Träumen, Träume zum Vergessen der Träume und jedes Selbst-Erkennen ein Nicht-anmich-Denken.
Ich habe mein eigenes Wesen so sehr abgelegt, daß existieren für mich Kleidung anlegen heißt. Ich bin nur verkleidet ich selbst. Und um mich her vergolden alle ungekannten Sonnen im Untergang Landschaften, die ich nie sehen werde.
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Modern sind: (1) Spiegel; (2) Kleiderschränke.
Wir haben uns zu bekleideten
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