Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
er sie dann in ihrem eigenen Zimmer suchen?
Der Inhalt der Phiole war beinahe farblos; nur ein Hauch von Blau färbte die wässrige Flüssigkeit. Sie würde es tun müssen. Um ihn zu beschützen, musste sie ihn nicht nur anlügen, sondern auch noch betäuben.
Denn sie durfte nicht zulassen, dass er wach wurde und sich erneut in Gefahr begab.
Niemals wieder.
»Ich fühle mich ziemlich erschöpft«, flüsterte Victoria Phillip zu, als sie in der Theaterloge saßen, die er gemietet hatte. »Ich würde lieber zu Bett gehen, du nicht auch?« Schnell und neckend ließ sie ihre Zungenspitze in den innersten Teil seines Ohrs zucken, dann zog sie sich zurück und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Bühne zu. Die Hände im Schoß gefaltet, saß sie sittsam und prüde da.
Phillip bewegte sich neben ihr auf eine Weise, die ihr verriet, dass auch er andere Dinge im Sinn hatte als das Stück - welches Victoria in Wahrheit genoss. »Wir können uns während der nächsten Pause davonstehlen. Ah! Jetzt ist eine günstige Gelegenheit«, ergänzte er, als die Schauspieler von der Bühne gingen.
Victoria klammerte sich an seinen Arm, während sie sich durch das Gewirr der Theaterbesucher drängten. Alle verließen ihre Logen, um sich unters Volk zu mischen, um zu sehen und gesehen zu werden.
Phillip half ihr in die Kutsche und kletterte hinterher. Aber anstatt ihr gegenüber Platz zu nehmen, setzte er sich neben sie, zog sie an sich und küsste sie leidenschaftlich.
»Liebling, dein Hals ist so kalt! Fühlst du dich auch wohl?«, fragte er, während er sich von ihr löste.
»Ich friere nicht, Phillip, aber... oje! Ich habe meine Abendtasche in unserer Loge vergessen. Und darin ist Tante Eustacias Brosche. Könntest du bitte zurücklaufen und sie mir holen?«
»Natürlich, mein Liebling. Du wartest hier - ich bin in einer Minute zurück!«
Darauf hoffend, dass das nicht der Fall sein würde, wartete sie, bis er ins Theater zurückgeeilt war, bevor sie den Pflock aus der Geheimtasche in ihrem Unterrock zog und schnell und leise, um den Kutscher nicht auf sich aufmerksam zu machen, ausstieg.
Der Gehsteig war überfüllt, allerdings mehr mit Kutschenund Droschkenlenkern als Theaterbesuchern. Victoria wusste nicht genau, wo der Vampir war, aber ihrem Instinkt folgend, bog sie um die nächste Ecke. Die Straße war nun dunkler und nicht mehr so belebt - doch als sie die dritte Droschke in der Warteschlange erreichte, wusste sie, dass sie am richtigen Ort war.
Ein tiefes, gedämpftes Stöhnen drang aus dem Inneren, und als Victoria sah, dass der Kutscher nicht auf seinem Bock saß, riss sie die Tür auf.
Der Vampir war eine Frau und hatte dem Anschein nach seine Mahlzeit gerade beendet - oder zumindest schon damit angefangen. Sie trug einen dunklen Umhang, und ihr braunes Haar war recht hübsch zu einer komplizierten, mit Edelsteinen und Bändern geschmückten Frisur arrangiert. Ohne ihre eigentümliche Augenfarbe und das hellrote Blut, das aus ihrem Mundwinkel
sickerte, hätte man sie für eine junge Dame der Oberschicht halten können.
»Wie reizend, dass Sie uns Gesellschaft leisten«, begrüßte sie Victoria. Dann sprang sie blitzschnell nach vorne und grabschte nach ihr. Es kostete sie wenig Anstrengung, Victoria in die Droschke zu ziehen - vor allem, da diese sich nicht dagegen wehrte.
Aber kaum dass Victoria bäuchlings halb drinnen und halb draußen war, nahm sie die Dinge selbst in die Hand und stemmte sich auf die gegenüberliegende Sitzbank.
Das war der Moment, in dem die Vampirin den Pflock sah.
Sie wich zurück, die roten Augen vor Entsetzen geweitet. »Venator!«
»Nett, Sie kennen zu lernen«, bemerkte Victoria, als sie ihr den Pflock in die Brust stieß.
Fft! Sie verpuffte, und Victoria war allein mit dem Mann, in dem sie - seiner alles andere als eleganten Kleidung nach - den Kutscher der Droschke vermutete.
Sie bewegte seinen Körper, um den Biss zu untersuchen und festzustellen, ob er noch am Leben war und gerettet werden konnte. Die Wunde war tief, und es quoll noch immer Blut aus ihr hervor. Victoria befühlte die andere Seite seines Halses, um nach einem Puls zu suchen, aber als sie die Hand wieder wegzog, war sie feucht. Der Vampir hatte auch hier zugeschlagen.
Wenn sie nur ein paar Minuten früher aus dem Theater gekommen wären, hätte sie den Vampir noch rechtzeitig wittern können, um das hier zu verhindern.
Aber es gab nichts, was sie für den Mann jetzt noch tun konnte. Er war längst
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