Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
plötzlichen Blutlache lag. Der Pfeil fiel ihr aus den tauben Fingern und landete mitten auf der Bühne.
Kapitel 23
Die Feuerprobe
V ictoria war betäubt bis ins Mark; ihr Nacken fühlte sich kalt an, aber der Rest ihres Körpers war frei von jeder Empfindung. Sie sah nichts mehr als roten Zorn, der den Rand ihres Sichtfelds verdunkelte, und Max.
Max mit dem Schwert in der Hand, das nass war vom Blut ihrer Tante.
Max, der zu ihr emporblickte, dessen blutbespritztes, entsetztes, verräterisches Gesicht kalt wurde, sobald er sie erkannte.
Dieser Ansturm der Emotionen konnte nicht länger als ein, zwei Sekunden gedauert haben; nicht mehr als einen Atemzug, bevor die Vampire und Tutelas wahlweise aufgebracht oder fassungslos zu ihr hochstarrten und dann durch Eustacias Blut schliddernd die Jagd auf sie eröffneten. Ein paar von ihnen kletterten, sich gegenseitig in Richtung ihres Aussichtspunkts hievend und die grobe Ziegel- und Holzstruktur als Fußhalt benützend, an der Wand empor. Hinter sich hörte sie gehetzte Schritte näher kommen, dann Kommandos, und begriff, dass sie sie in wenigen Momenten erreicht haben würden.
Sie legte den zweiten Pfeil an die Bogensehne, als sie unterbewusst registrierte, dass Sebastian nicht mehr neben ihr war; doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Sie würde Nedas vernichten, dafür war sie hergekommen. Und dann würde sie Max töten.
Es war keine Frage des Richtspruchs mehr, es gab kein Zögern in ihr, tödliche Gewalt gegen einen Sterblichen anzuwenden. Sie würde es tun.
Kalte Entschlossenheit umhüllte sie und verdrängte den Schock, während sie den Bogen hob. Sie musste das Wissen, dass ihre Tante dort unten tot auf der Bühne lag, für den Moment beiseiteschieben und sich auf ihre Pflicht konzentrieren.
Die Realität von Eustacias Tod würde sie sehr bald mit voller Wucht treffen. Sie musste ihn vorher rächen.
Victoria zog die Bogensehne mit dem aufgelegten Pfeil zurück und zielte mitten in das Chaos auf der Bühne hinein, wo Nedas noch immer stand und mit herausforderndem Grinsen zu ihr hochsah.
Sein Herz anpeilend, schoss sie den Pfeil ab. Die Sehne schwirrte zurück und spie das Geschoss in einem anmutigen Bogen nach unten, als auch schon Hände von hinten nach ihr griffen und sie zurückzerrten. Dann tauchte vor ihr ein Gesicht auf, der Angreifer grapschte nach ihr, versuchte, sie von dem winzigen Vorsprung, auf dem sie kauerte, nach unten zu ziehen, und sobald die Vampire hinter ihr dies bemerkten, begannen sie, zu schieben.
Victoria taumelte durch das Loch und ließ Pfeil und Bogen fallen, als eine Unzahl von Händen - so unglaublich viele Hände - nach ihr griffen; es war, als durchlebte sie ein morbides Déjà-vu der Tutela-Versammlung, bei der man sie um ein Haar in Stücke gerissen hätte.
Vielleicht würden sie es heute Nacht zu Ende bringen. Schmerz durchzuckte sie; irgendwie landete sie unten, schlug auf der Bühne auf. Sie trat und kämpfte mit aller Macht, roch Blut und spürte, wie sich ihre Sicht vernebelte... dann zu vollständiger
Dunkelheit wurde. Das Einzige, dessen sie sich noch bewusst war, war die Tatsache, dass sie im Blut ihrer Tante lag. Und dass sie Max hasste.
Max, den Verräter.
Als die Hände von ihr abließen und Stille auf das Chaos folgte, öffnete sie die Augen. Sie starrte in Nedas’ Gesicht empor.
Aus der Nähe sah er Furcht einflößender und weitaus abstoßender aus, als er aus der Entfernung gewirkt hatte. Er verströmte einen wilden, aschigen Geruch, der Victoria an brennende Knochen und zerfetztes Fleisch erinnerte, und sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
Aber sie kämpfte dagegen an. Ihre Tante war tapfer gewesen; so tapfer und stark hatte sie sich ihrem Tod gestellt.Victoria zitterte vor Schock und Erschöpfung, und ihre unzähligen Verletzungen pochten im Gleichtakt mit ihrem rasenden Herzen.
Sie zwang sich, ihre ganze Kraft und ihren Scharfsinn zusammenzunehmen und nicht daran zu denken, was geschehen war, wie ihr Leben ohne ihre Mentorin, ohne Illa Gardella, aussehen würde.
Doch vor allem konzentrierte sie ihren Zorn und Hass auf den Mann, an dessen Seite sie einst gekämpft, dem sie ihr Leben anvertraut hatte, und verwandelte diese Emotionen in Energie.
»Der andere weibliche Venator, nehme ich an.« Nedas stieß sie mit der Stiefelspitze an. Seine Fangzähne waren jetzt ausgefahren, also hatte ihr Pfeil sein Ziel offensichtlich verfehlt und ihn am Leben gelassen. »Diese hier ist
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