Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
kickte er ihr einen ihrer um sich tretenden Füße unter dem Körper weg, sodass
sie das Gleichgewicht verlor und nur deshalb aufrecht blieb, weil er ihre Handgelenke umklammert hielt.
»Wie lange bist du schon bei der Tutela?«, zischte sie. »Du bist ein Verräter und ein Mörder.«
Seine Miene war ausdruckslos. »Du hast Nedas gehört. Ich war Mitglied der Tutela, bevor ich zum Venator wurde.«
»Wirst du mich nun umbringen?« Victoria ignorierte die schwarzen Flecken, die vor ihren Augen tanzten, und den Schmerz, der in ihrem Körper pochte. Schwäche und Angst pulsierten in ihr, aber sie würde es sich nicht anmerken lassen. Ihre Glieder zitterten, und sie hatte Mühe, die Worte zu formulieren. »Welche Belohnung wird Nedas dir geben, wenn du noch einen Venator tötest?«
Er schüttelte sie leicht, sodass ihr Kopf hin und her wackelte; dann stieß er sie, als müsse er um Beherrschung ringen, von sich und blieb auf Abstand, während er zusah, wie sie wieder zur Pritsche torkelte. »Ich habe genau zehn Minuten, um dich verdammt noch mal hier rauszuholen, denn sonst wirst du dich in einer wesentlich weniger appetitlichen Situation wiederfinden als vorhin deine Tante. Um Himmels willen, du kannst noch nicht einmal stehen, oder?«
Diese letzte Bemerkung bezog sich auf ihren Versuch, genau das zu tun, indem sie sich mit einer Hand an dem schmalen Feldbett hochzog. Er streckte den Arm nach ihr aus, aber sie schlug ihn weg und landete als entwürdigtes Häuflein Elend wieder auf dem Boden. »Fass mich nicht an.«
Er schenkte dem keine Beachtung, sondern zog sie kurzerhand auf die Füße und drückte sie wieder auf die Pritsche. »Victoria, du musst fort von hier. Du hast nicht die Zeit, die verschmähte Jungfer zu spielen.«
»Sobald ich dich und anschließend Nedas getötet habe, werde ich diesen Ort gern verlassen.«
»Angesichts der Tatsache, dass du noch nicht einmal in der Lage bist aufrecht zu stehen, zweifle ich daran, dass du jemanden würdest töten können, und schon gar nicht Nedas. Zumindest nicht jetzt«, fügte er mit schneidender Stimme hinzu. »Der Zeitpunkt wird kommen, aber nicht jetzt.« Mit langen Fingern begann er, sein weißes Hemd aufzuknöpfen, und Victoria glotzte ihn an, versuchte, den Blick um die schwarzen Flecken, die ihr die Sicht vernebelten, herum zu fokussieren.
»Was tust du da?«
»Er hat schon angefangen, den Obelisken zu aktivieren; man kann ihn nicht mehr aufhalten. Du wirst hinterher gebraucht werden, Victoria. Daran musst du denken und nicht an deine Rachegelüste, denn die werden sich bald schon erübrigen.« Er kam auf sie zu, und sie schreckte vor seiner hoch aufragenden Gestalt zurück. Sie hatte nie Angst vor Max gehabt, doch irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck, der entschlossene Zug um seinen Mund und die zornigen, schwarzen Augen weckten in ihr das Bedürfnis, zu fliehen.
Aber sie war ein Venator. Selbst ohne ihre vis bulla war sie verdammt noch mal ein Venator .
Sie wusste nicht, was sie erwartete, als er sich neben sie setzte, aber auf keinen Fall, dass er ihre Hand nehmen und sie an seinen Körper führen würde. Er schob ihre widerstrebenden Finger unter sein offenes Hemd, und ihre Handfläche glitt über warme Haut, weiches Haar, dann über eine Brustwarze und etwas Hartes. Metall. Er drückte ihre Hand flach dagegen.
Eine Sekunde bevor sie realisierte, dass es seine vis bulla war, die dort am Warzenhof seiner muskulösen Brust hing, fühlte Victoria
einen Energieschub durch sich hindurchströmen. Ihre Sicht hellte sich auf, und die schwarzen Flecken verschwanden. Ihre Schmerzen wurden zu leisem körperlichem Missbehagen abgemildert. Selbst die Verletzung an ihrem Nabel, wo ihr eigenes Stärkeamulett herausgerissen worden war, hörte auf zu pochen. Ihr Kopf fühlte sich klarer an.
Während ihr Schmerz und ihre Verwirrung nachließen, merkte Victoria plötzlich, dass ihre Hand ausgebreitet auf Max’ nackter Haut lag. Sie spürte, wie das Leinen seines Hemds im Rhythmus seiner Atmung über ihre Haut strich, spürte seinen stetigen, kraftvollen Herzschlag unter ihrer Hand und die Stärke seiner Finger um ihr Handgelenk. Er war warm und männlich, und ein rascher Blick in die Öffnung seines Hemdes verriet ihr, dass jede Menge schwarzer Haare seine Brust bedeckte.
Ein zweiter Blick zu seinem Gesicht hingegen verriet ihr, dass er völlig emotionslos war: Er hatte die Augen geschlossen, und um seinen Mund lag noch immer derselbe energische Zug. Sie
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