Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
in der Tutela!«
»Und gefährlicher«, fügte Victoria hinzu, während sie sich den Anweisungen ihrer Zofe beugte. Sie war sich ziemlich sicher, dass Verbena nicht zuletzt deswegen so hartnäckig darauf bestand, sie egal zu welchem Anlass herauszuputzen, weil ihre Schwester die Zofe einer Herzogin war; die beiden verglichen stets ihre Notizen zu den Kleidern und Juwelen ihrer Herrinnen.
Eine halbe Stunde, nachdem sie Alvisis Schreiben erhalten hatte, kam Victoria die Treppe hinunter, im Haar zwei Pflöcke und einen dritten am Strumpfband unter ihrem Rock. In ihrer Abendtasche trug sie Weihwasser, außerdem hatte sie eine weitere kleine Phiole zusammen mit einem umhüllten Dolch an ihrem zweiten Strumpfband befestigt. Zusätzlich trug sie ein gro ßes Kruzifix, das tief in ihrem Dekolleté verborgen war, wo man es nicht sehen würde, es sei denn, sie wollte es. Unten angekommen, unterbrach sie eine hitzige, geflüsterte Unterhaltung zwischen Verbena und Oliver.
Es war ein komischer Anblick: Die Zofe reichte ihm kaum bis zum Schlüsselbein, trotzdem schien sie die Wortführerin zu sein, während er stumm aber energisch zu ihr hinunternickte. Ihr buschiger, karottenroter Wuschelkopf wippte mit jeder Bewegung, und sein dunklerer, eher kastanienbrauner Schopf tat es dem ihren in einem langsameren Rhythmus nach. Wie um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, schlug sie mit einem lauten Klatschen die Hände ineinander - Handrücken gegen Handfläche -, dann stieß sie einen einzelnen Finger in seine Richtung.
»Ist der Graf schon eingetroffen?«, fragte Victoria so unschuldig wie möglich.
»Noch nicht, Mylady«, antwortete Verbena und trat mit einem
letzten, finsteren Blick von ihrem Gegenüber weg. Vielleicht hatte sie ihn belehrt, als bestes Abwehrmittel gegen Vampire ein Kruzifix anstelle von Knoblauch zu benutzen. »Aber unser Oliver hier wird bestimmt gern für Sie nach ihm Ausschau halten.«
In diesem Moment glitt der italienische Diener, der in dem kleinen Haus, das sie gemietet hatten, als Butler fungierte, ins Zimmer und verkündete: »Der Graf Alvisi, Signora .«
Kaum dass der Graf den kleinen Salon betreten hatte, wurde endgültig klar, dass er an jenem Abend keineswegs einer Frau zu nahe gekommen war, die in Lavendelwasser gebadet hatte, sondern dass er sich selbst damit parfümierte. Und so als wollte er den Geruch in einer Art stilistischem Muster fortsetzen, war sein Seidenhemd lavendelfarben, ebenso wie die ordentlich, wenngleich steif um seinen Hals gebundene Krawatte. Und der Edelstein, der in ihrer Mitte prangte, war... was sonst... ein klarer, blasser Amethyst.
»Sie sehen bezaubernd aus heute Abend, Mrs. Withers.« In Alvisis dunklen Augen funkelte aufrichtige Anerkennung. »Direkt zum Anbeißen würde ich sagen!« Er zwinkerte, dann stieß er ein schallendes Lachen aus, während er ihre Hand ergriff.
Victoria erinnerte sich selbst noch einmal daran, dass sie die Rolle einer abenteuerlustigen, naiven Frau - und nicht die eines erbitterten Venators oder einer perfekten Dame der Gesellschaft - spielen musste und rang sich ein derart herzhaftes Lachen ab, dass ihre Mutter in Ohnmacht gefallen wäre. Für heute Abend würde sie sich an Folgendes halten: Wenn sie etwas tat, das ihre Mutter dazu bringen würde, konsterniert die Lippen zu schürzen, würde sie sich damit genau so verhalten, wie sie sollte - nämlich so, wie sie sich eine Frau vorstellte, die den Wunsch verspürte,Vampire zu treffen, weil sie sie faszinierend und anziehend fand.
»Sollen wir gehen?«, fragte sie.
»Unbedingt, Signora . Die Kutsche erwartet uns.« Er nahm ihren Arm, und sie schwebten Schulter an Schulter, Ellbogen an Ellbogen aus dem Zimmer.
»Ich kann gar nicht glauben, dass ich heute Abend einen echten Vampir zu sehen bekommen soll«, sagte Victoria, als sie in der Kutsche saßen. Kaum dass die Tür hinter ihnen geschlossen war, verspürte sie das dringende Bedürfnis, ein Fenster einzuschlagen, um etwas von dem Lavendelduft entweichen zu lassen.
Alvisi saß ihr gegenüber - aber nicht so, wie Sebastian das getan hätte, der stets mit dem Arm auf der Rückenlehne bequem in einer Ecke lümmelte. Der Graf verharrte, die Hände im Schoß verschränkt, stocksteif am Rand der Sitzbank. Er sah aus, als wollte er jeden Moment die Flucht ergreifen. »Äh... nun, Signora . Möglicherweise werden wir heute gar keinem echten Vampir begegnen. Tatsächlich habe ich selbst erst einmal einen gesehen.«
Victoria sank nach hinten
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