Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
Immer wieder sind Venatoren der Verlockung der Vampire erlegen. So wie es in jeder Schlacht in der Geschichte Helden gegeben hat, gab es unter uns auch stets Verräter.«
»Das mag sein, aber Max? Nach allem, was er getan hat? Nein. Es gibt eine andere Erklärung.«
Wayren sah so nachdenklich aus, wie Eustacia sich innerlich taub fühlte. »Ich würde es selbst auch nicht glauben... Aber erinnere dich an seine Vorgeschichte. Und dass er noch immer gegen Liliths Fesseln ankämpft; dass ihre Bisse unvermindert in seinem Fleisch brennen. Es sind entsetzliche Qualen, die ihn unerwartet überfallen und schwächen können.«
»Er hat gelernt, damit umzugehen. Zumindest gelingt ihm das bisweilen.«
»Ich weiß. Er ist ein sehr starker Mann. Trotzdem; ich fürchte, dass wenn es einen Venator gibt, der der Tutela verfallen könnte, er der wahrscheinlichste Kandidat ist, und zwar einfach aufgrund seiner Bindung zu Lilith, so grausam und unerwünscht diese auch sein mag. Die Wunden, die sie ihm beigebracht hat, als sie ihn vor Jahren zum ersten Mal biss, sind nie verheilt, und sie
versucht, ihn unter ihrer Kontrolle zu halten. Als sie letztes Jahr wieder von seinem Blut trank, hat sie ihn noch fester an sich gebunden. Bislang ist es ihm gelungen zu widerstehen, aber alles ist möglich. Absolute Gewissheit gibt es nicht.« Trotz ihrer ernsten Worte wirkte sie so ruhig und ätherisch wie immer - wie schon an jenem Tag vor fast sechzig Jahren, als Eustacia ihr zum ersten Mal begegnet war.
Sie hatte keine Ahnung, wie alt Wayren war; aber es war auch nicht wichtig. Sie wusste nur, dass Wayren irgendwie immer da war, wenn sie sie brauchte. Sie war der weiseste Mensch, den Eustacia je kennen gelernt hatte, und sie log niemals. Trotz allem, was sie gerade gesagt hatte, war das eine absolute Gewissheit.
Wayren hatte im Laufe der Jahre so vieles gesehen; vielleicht konnte sie inzwischen nichts mehr erschüttern.
»Möglicherweise wird er dich jetzt, da er weiß, dass Victoria in Rom ist, ausfindig machen.Vielleicht gibt es einen Grund, weshalb er nicht mit ihr spricht.« Ihr blassblondes Haar, das ihr Gesicht mit vier schmalen, geflochtenen Zöpfen umrahmte, fiel ihr über die Schultern bis hinab in den Schoß. Die Zöpfe wurden von erlesenen Goldketten zusammengehalten, und an jeder hing eine erbsengroße Perle.
Eustacia, die sich im Vergleich mit ihr alt und unelegant fühlte, nickte. »Das wäre möglich. Hast du ansonsten irgendetwas entdeckt, das uns weiterhelfen könnte? Und weißt du, wo Lilith ist?«
Wayren kramte in ihrem allgegenwärtigen Lederbeutel herum, dann zog sie ein Bündel welligen Papiers hervor. Nachdem sie die eckige Brille aufgesetzt hatte, die sie stets beim Lesen trug, begann sie, durch die Seiten zu blättern.
Eustacia musste einfach lächeln.Wenn sie glaubte, dass sich das Alter auf ihre Erinnerung auswirkte, so war dies nichts im Vergleich
zu Wayren, die schon viel länger lebte und sich vollkommen auf ihre Notizen, Verweise und Bemerkungen verließ, die sie während ihrer Recherchen niederschrieb.
»Ich glaube nicht, dass Lilith direkt in Nedas’ Vorhaben verwickelt ist; und falls doch, so ist sie zumindest nicht hier in Italien. Sie versteckt sich noch immer tief in den rumänischen Bergen, zusammen mit einer ganzen Stadt voller Vampire. Ich bin sicher, sie weiß, dass Nedas Akvans Obelisken gefunden hat und plant, ihn zu aktivieren. Er ist immerhin ihr Sohn. Sie haben genau wie wir Mittel und Wege, um miteinander zu kommunizieren.« Ihr verzagtes Lächeln brachte drei winzige Falten neben dem Kinn zum Vorschein. »Nach allem, was ich seit meiner Ankunft in Erfahrung bringen konnte, hatten Beauregard und seine Vampire die Absicht, Nedas hier in Italien zu stürzen, aber als bekannt wurde, dass er den Obelisken hat, war Beauregard zum Rückzug gezwungen. Meiner Meinung nach wartet er ab, um zu sehen, was weiter geschieht, bevor er ihm den Treueid leistet - oder versucht, ihn zu unterwerfen.«
»Beauregard ist klüger und verfügt über mehr Erfahrung, aber Nedas ist immerhin Liliths Sohn. Dio mio , wir dürfen den Obelisken keinem von beiden überlassen, Wayren. Wenn wir ihnen nicht Einhalt gebieten, könnte uns eine ähnliche Tragödie wie in Praga drohen.«
»Ich bete, dass es nicht so weit kommt. Zwanzigtausend Menschen, die von den Vampiren und der Tutela niedergemetzelt werden... hier in Rom. Ihr Ziel ist ohne Frage die Vernichtung des Kirchenstaates, unseres Konsiliums und so vieler
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