Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
des Tranks ist. Er verleiht den Untoten die Aura von Sterblichen, sodass wir sie nicht mehr erkennen können. Dadurch können sie sich wie wir frei bewegen.«
Victoria begann zu frösteln, und das hatte nichts mit der Gegenwart eines Vampirs zu tun. »Das wäre ganz furchtbar für uns«, murmelte sie und stand abrupt auf. »Wenn sie sich frei bewegen können und wir sie nicht spüren …« Sie ging zu ihrem Ankleidetisch, wo die Lampe zu flackern angefangen hatte, weil das Petroleum zur Neige ging. »Sie könnten jederzeit und überall auftauchen …«
»Das ist wirklich keine sonderlich angenehme Vorstellung«, sagte Sebastian. Seine Stimme klang jetzt dichter, und sie hörte das leise Knarren eines Dielenbretts, als er seinen Stuhl verließ.
»Weißt du, wo Max ist?«, fragte sie.
Sie merkte, dass er verharrte, und drehte sich wieder zu ihm um. » R ennt vor Lilith weg, nehme ich an.« Sein Lachen klang irgendwie seltsam. »Ich mache dem Burschen keinen Vorwurf daraus. Hätte diese üble Kreatur mich gepackt und es wäre mir gelungen, mich zu befreien, ich würde das Gleiche machen.«
»Er muss über Briyanis Schicksal informiert werden. Ich habe eine Nachricht an Wayren geschickt.«
»Dann wird sie bestimmt eine Möglichkeit finden, Pesaro Bescheid zu sagen. Mir scheint, du hast jetzt ganz andere Sorgen.«
»Sebastian, warum hast du das getan?«, fragte Victoria, der plötzlich wieder der Schmerz ob ihres Alleinseins und seines Verrats bewusst wurde. »Warum hast du uns das Dokument gestohlen? Warum hast du versucht, Beauregard zu helfen?«
Er besaß den Anstand, verlegen zu wirken – ein Gesichtsausdruck, den man bei ihm gar nicht kannte. »Es war dumm und verantwortungslos von mir. Ich habe auf ihn gehört – er besaß die Fähigkeit, mich bis zu einem gewissen Grad zu beeinflussen, obwohl ich mir dessen in der R egel bewusst war und es steuern konnte. Er überzeugte mich davon, dass dadurch Vampire und Sterbliche tatsächlich miteinander leben könnten.«
Victoria gab ein sehr undamenhaftes Schnauben von sich. »Und du hast ihm geglaubt?«
»Liebe macht gelegentlich blind, Victoria.«
Sie sah ihn einen Moment lang an. Irgendetwas hatte sich geändert. »Das tut sie.« Sie holte tief Luft und stieß sie dann langsam wieder aus. Auch sie hatte aus Liebe Fehler gemacht – hatte einen Sterblichen geheiratet, der keine Ahnung von ihrem geheimen Leben hatte. Und dann hatte sie ihn angelogen, hatte ihn mit salvi betäubt, damit sie Vampire jagen konnte. Dadurch hatte sie ihn in Gefahr gebracht und andere, die sie liebte.
Liebe machte eindeutig blind.
Irgendwie hatte er wohl erkannt, was sich in ihrem Innern abspielte, denn im nächsten Augenblick stand Sebastian neben ihr und zog sie in seine Arme. Er senkte den Kopf und legte seine Lippen behutsam, fast fragend auf ihre.
Sie schloss die Augen und erwiderte seinen Kuss. Sie atmete seinen Duft, seine Gegenwart ein und verdrängte die Einsamkeit, die sie heute, die letzten Wochen und Monate immer wieder heimgesucht hatte.
In diesem Augenblick tröstete es sie. Das war Sebastian.
Der Kuss machte sie atemlos, und plötzlich spürte sie das hüfthohe Bett hinter sich, dessen Kante sich in ihren R ücken drückte, während Sebastian sich von vorn gegen sie drängte. Ihr Kleid klaffte im Ausschnitt weit auf, weil sich Sebastians flinke Finger wieder an den Knöpfen zu schaffen gemacht hatten. Als er sie aufs Bett warf, fühlte sich die Überdecke kühl an ihrem nackten R ücken an.
Seine Hände zogen an dem Stoff, als sie benommen voller Verlangen zu ihm aufschaute. Es war schon so lange her … die Vorhänge ums Bett waren nicht zugezogen, und hinter dem schweren Betthaupt aus Ahornholz sah sie ein Bild, welches Circe und Odysseus zeigte.
Der Nebel aus Sherry und Verlangen schwand, und Victoria kam wieder zu sich. Abrupt setzte sie sich auf und hätte ihm dabei fast einen Kinnhaken verpasst.
»Nein«, sagte sie, während sie sich umschaute und sich wieder daran erinnerte, wo sie war. Ein Schauer lief ihr über den R ücken, und sie bekam eine Gänsehaut, als ihr … ach, Hunderte von Gründen einfielen, warum sie es nicht tun sollte. »Sebastian, nicht hier.«
Nicht hier, wo sie und Phillip sich geliebt hatten, nur ein paar Male, während der kurzen Zeit ihrer Ehe, die ihr so kostbar war.
Nicht hier, wo sie ihn das letzte Mal geküsst, seine Hände auf ihrer Haut und seinen Körper neben sich gespürt hatte … ehe sie ihm den tödlichen Pflock ins
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