Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
nicht«, sagte sie und löste sich von Sebastian. »Ich musste gehen.«
»Gehen und sie sterben lassen?« Pesaro drehte sich wieder zu ihr um, und einen Moment lang standen sie einander gegenüber, als wollten sie gleich aufeinander losgehen. Plötzlich lag eine Anspannung in der Luft, die gar nicht mehr weichen wollte. Er sah aus, als wollte er ihr gleich die Finger um den Hals legen, und Sebastian ballte seine Hände zu Fäusten. »Ich hätte mehr von dir erwartet, Victoria. Das war praktisch Mord.«
»Sie waren noch am Leben, als ich ging.«
»Ohne die Chance zu überleben. Ihr Schicksal war besiegelt.« Pesaro wandte sich ab, dann blieb er plötzlich stehen und drehte sich mit einem R uck zu Victoria um. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, und er sah sie mit durchdringendem Blick an. Er musterte sie forschend, ehe er den Kopf hob, um Sebastian anzuschauen. Die unverblümte Missbilligung, die Sebastian zu sehen erwartet hatte, war verschwunden. Stattdessen lag ein wissender Ausdruck auf seinem Gesicht. Und dann verstand auch Sebastian.
Dies war nicht Victoria – nicht die Victoria, die er kannte.
Pesaro drängte sich an Sebastian und Victoria vorbei und ging mit langen Schritten zur Tür.
»Wo gehst du hin?«
Pesaro verlangsamte seinen Schritt nicht. »Sehen, ob ich noch irgendetwas tun kann.«
»Ich komme mit«, sagte sie. »Du kannst da nicht allein hin.«
Die beleidigenden Worte ließen Pesaro innehalten und sich umdrehen, während seine Hand schon auf dem Türknauf lag. Sogar Sebastian wäre beinahe zurückgewichen vor dem grimmigen Ausdruck, der auf seinem Gesicht lag. »Nein, ich will dich nicht dabeihaben.« Damit warf er die Tür hinter sich zu, und Stille legte sich wieder über den Raum. Sebastian bemerkte Victorias verletzte Miene, und ein schon vertrautes Unbehagen breitete sich in ihm aus. Die Art und Weise, wie sie ihm hinterherschaute, wie sie ausgesehen hatte, als Pesaro auf so wunderbare Weise nach dem Feuer wieder aufgetaucht war … es gefiel Sebastian nicht.
Es gefiel ihm überhaupt nicht.
Deshalb war er auch froh, Pesaro gesagt zu haben, dass Victoria alles über Giulia wusste und wie sie darauf reagiert hatte.
Natürlich war ein bisschen Übertreibung mit im Spiel gewesen, aber in der Liebe … und im Krieg waren alle Mittel erlaubt.
Victoria träumte von Blut.
Ganze Ströme davon, das zähe Fließen, der Geruch … stieg in ihre Nase, legte sich auf ihre Zunge. Sie badete darin. Erstickte darin.
Sie öffnete die Augen und stellte fest, dass die Sonne in ihr Schlafzimmer schien. Die Laken waren zerknittert und zerknüllt, hatten sich um ihre Beine geschlungen und sich wie eine Toga um ihre Taille gelegt. In ihrem Kopf pochte es, und die Haut in ihrem Gesicht spannte und fühlte sich wund an.
Aber sie musste aufstehen.
Auch das Wissen, dass ihre Verletzungen innerhalb eines Tages verheilen würden, konnte Victorias Stimmung nicht verbessern, als sie in den Spiegel schaute. Ihr Gesicht war mit Schürfwunden übersät, und über ihre Wange zog sich ein langer Kratzer.
Mit einem schlichten Gewand angetan, das kaum mehr als ein Hemdchen war, und das Haar zu einem einzelnen langen Zopf geflochten, ging Victoria nach unten und fand Kritanu im kalari , dem Raum, den sie für ihr Training benutzten. Es war ein großer Raum für ein so kleines Stadthaus, der nur dadurch entstanden war, dass Tante Eustacia die Wand zwischen Musikzimmer und einem Salon hatte herausnehmen lassen. Der Raum war hell, geräumig und mit einem schimmernden Holzfußboden ausgelegt, von dem Kritanu behauptete, dass er den besten Untergrund für das Training darstellte. In einer Ecke lagen Berge von riesigen Kissen, auf denen man nicht nur sitzen und sich ausruhen konnte, sondern sich beim Training auch schützen konnte, falls es erforderlich war.
Sie hatte nicht damit gerechnet, Max zu sehen, doch er focht gerade einen Scheinkampf mit Kritanu aus. Beide Männer hielten lange, schmale Schwerter in der Hand, deren Klingen leicht gebogen waren. Sie klirrten, rasselten und schimmerten.
Als sie in den Raum trat, unterbrach Max die Übung und ließ die Spitze seiner Waffe auf den Boden knallen. Er trug eine locker sitzende, knöchellange braune Hose und eine cremefarbene Tunika, die an vielen Stellen durchgeschwitzt war. Das Haar hatte er sich wie ein Pirat zurückgebunden. Seine großen Füße waren nackt, doch um den einen Knöchel lag ein schmales Band. Daran hing ein kleines silbernes
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