Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
lange keinen Kontakt mehr zu jemandem aus der Tutela gehabt...«
»Ersparen Sie mir Ihre Lügen, George. Sie haben gestern Abend, als wir zu Ihnen nach Hause fuhren, in Ihrer Tasche mit Münzen gespielt und haben eine davon, mit der man sich als Mitglied der Tutela ausweist, in der Kutsche verloren. Ich bezweifle doch ernsthaft, dass sie in Ihrem Besitz gewesen wäre, wenn Sie nicht erst kürzlich Kontakt gehabt hätten.« Die Tutela benutzte münzähnliche Scheiben aus Metall, mit denen sich die Mitglieder auswiesen, um Zutritt zu den geheimen Treffen zu erlangen, wie Victoria sehr wohl wusste. In Venedig hätte sie bei einem Treffen der Tutela fast dran glauben müssen, nachdem sie sich mit einer derartigen Münze Zutritt verschafft hatte.
Sie kam weiteren Ausreden zuvor, indem sie ihm die Münze reichte.
George, so ertappt, schürzte die Lippen. Durch den Gesichtsausdruck wirkte er mehr denn je wie ein verwöhnter kleiner Junge mit Pausbäckchen und rundem, glattem Kinn. »Um die Wahrheit zu sagen, Victoria«, meinte er und warf ihr einen Seitenblick zu; offensichtlich wollte er sehen, ob sie etwas dagegen hatte, dass er ihren Vornamen benutzte, »ist den Untoten sehr wohl bewusst, dass da in den letzten Monaten etwas im Untergrund brodelt.«
Zusammen mit seiner Zurückhaltung hatte George auch die affektierte Sprache des ton abgelegt. Das war Anlass genug für Victoria, sich gerader hinzusetzen und ihn mit scharfem Blick zu mustern.
»Was meinen Sie damit?«
»Wenn Sie die verdammte Wahrheit wissen wollen... sie haben Angst. Sie halten sich bedeckt und verstecken sich. Das ist auch der Grund, warum Lilith London so schnell verlassen und die Übrigen mitgenommen hat.«
Victoria sah ihn nachdenklich an. Sie hatte angenommen, dass Lilith mit ihren Lakaien verschwunden war, um ihre Wunden zu lecken, nachdem sie von den Venatoren geschlagen worden war. Konnte es sein, dass das nicht alles war?
»Was wissen Sie sonst noch? Ich will alle Informationen, die Sie haben, George.«
Er rutschte nervös auf den Polstern herum und lockerte sein Halstuch, welches so kompliziert geknotet war, dass selbst Sebastian ihn darum beneidet hätte. »Ich weiß wirklich nicht viel. Nur dass irgendetwas passieren könnte und die Vampire nicht sonderlich glücklich darüber sind.«
Dämonen und Vampire — beides Geschöpfe der Hölle und Lakaien Luzifers - waren Todfeinde. Die Dämonen, Engel, die vor Äonen bei Gott in Ungnade gefallen waren, beanspruchten aufgrund ihres seit langer Zeit bestehenden Bundes mit Luzifer, dem mächtigsten aller Dämonen, die Hölle für sich.
Doch Luzifer hatte Judas Ischariot auf seine Seite gezogen, nachdem dieser Jesus verraten hatte; er behauptete, dass ihm seine Tat nie vergeben werden würde. Luzifer hatte Judas dazu gebracht, sich selbst zu hängen, indem er ihm versprach, ihn zum Begründer einer mächtigen neuen Rasse zu machen. So wurde Judas der erste der Vampire — ein unsterbliches Geschöpf, das halb Mensch, halb Dämon war und Menschen brauchte, um fortzubestehen.
Deshalb war der Kampf, den Dämonen und Vampire seit Jahrtausenden um die Gunst Luzifers ausfochten, heftig und grausam.
»Was wissen Sie sonst noch? Sie haben mir nichts Lohnendes erzählt, und dabei habe ich Sie bei Ihrem Kartenspiel gestört«, sagte Victoria. »Was wird passieren? Wie werden die Vampire dagegen vorgehen? Und wann?«
George zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht.«
Victoria verzog die Lippen zu einem falschen Lächeln, beugte sich vor und packte sein Handgelenk. »Mehr haben Sie nicht für mich? Nachdem ich Ihnen den Gefallen mit Ihrem Hausgast getan habe?« Ihr Griff wurde immer fester, und sie merkte, wie sich seine Knochen unter ihren Fingern verschoben.
»Halt«, keuchte er, ehe sie eigentlich richtig angefangen hatte. »Ich weiß nichts, aber ich kenne jemanden, der Ihnen vielleicht noch mehr erzählen kann.«
»Bringen Sie mich hin.«
George warf ihr einen schnellen Blick zu, dann sackte er mit eindeutig schmollender Miene in sich zusammen. Er klopfte gegen das Dach und rief dem Kutscher dann den Weg zu, den er nehmen sollte.
Nachdem das erledigt war, setzte er sich in seine Ecke zurück und musterte Victoria mit einem berechnenden Blick. Der schmollende Ausdruck war Interesse gewichen, und er öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen, als sie schnell abwehrend die Hand hob.
»Lassen Sie es bleiben, George. Ich werfe Sie aus der Kutsche, wenn Sie auch nur daran denken, eine
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