Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
stand Max gerade vor dem schmalen Waffenschrank, in dem Kritanus umfangreiche Klingensammlung verwahrt wurde.
Obwohl sie sich ganz leise bewegte, drehte er sich um, als sie den Raum betrat. Er hielt ein ungewöhnlich geformtes Schwert in der Hand, das in einem Bogen von der Klinge in das Heft überging. Mit den nackten Füßen, dem vollen dunklen Haar und der gebräunten Haut erinnerte er an einen furchteinflößenden Piraten. Seine Miene verstärkte diesen Eindruck noch.
»Drei Tage Fasten?«, fragte sie und ahmte damit seine Gewohnheit nach, gleich auf den Punkt zu kommen, während sie den Raum durchquerte und auf ihn zuging. »Und was dann?«
»Drei Tage Fasten und Gebete, während du und Vioget den Ring von Jubai holt«, korrigierte er sie. »Ich weiß, wie wichtig der Zeitfaktor in dieser Sache ist, aber das Ganze ähnelt dem Ritual, das Ritter im Mittelalter durchliefen, wenn sie bereit waren, ihren Schwur abzulegen. Drei Tage lang werde ich auf den Knien hocken, ehe man mich mit einem Untoten in einem Raum einsperrt. Nur einer von uns wird lebend wieder herauskommen.«
Victoria hatte das Gefühl, als würde der Boden unter ihren Füßen beben und die Wände wackeln.
Sie hatte schon von dieser Prüfung gehört, war aber noch nie dabei gewesen und hatte abgesehen davon, dass es dabei um Leben oder Tod ging, nicht gewusst, wie das Ganze genau ablief. Max hätte nie von sich aus das Thema angeschnitten, und seit sie Venator geworden war, hatte niemand mehr versucht, sich der Prüfung zu stellen. Es war eine Probe, die von Wayren, nicht von Illa Gardella, beaufsichtigt wurde... und jetzt, wo Victoria wusste, wer Wayren in Wirklichkeit war, ergab das auch alles einen Sinn.
»Du musst gegen einen Vampir kämpfen, nachdem du drei Tage lang weder gegessen noch geschlafen hast? In einem geschlossenen Raum?« Sogar ihr würde dies mit ihren zwei vis bullae schwerfallen.
Und auch wenn sie sich mit dem Schließen des Portals beeilen mussten — eine Verzögerung von ein oder zwei Tagen in Prag würde zu verkraften sein, wenn Max dann wieder als Venator für die Gruppe da war. Besonders, wenn es darum ging, Liliths Unterschlupf zu finden und ihr gegenüberzutreten.
Aber wenn er es nun nicht schaffte? Oh Gott! Dann müssten sie ohne ihn auskommen. Sie müsste ohne ihn auskommen. Nach allem, was sie schon durchgemacht hatten. Victoria schluckte und schaute zu ihm auf. »Max«, sagte sie, während sie noch nach Worten suchte, um ihre Sorge so zu formulieren, dass er es verstand und nicht als beleidigend empfand... aber er unterbrach sie.
»Dachtest du, es würde leicht werden?«, fragte er spöttisch. Er legte das khukuri-Messer zurück und verriegelte den Schrank. »Bisher haben es nur vier andere geschafft.«
»Aber, Max...«
»Hör auf mit dem theatralischen Getue, Victoria. Das passt nicht zu Illa Gardella. Meinst du etwa, deine Tante Eustacia hätte Daclid angefleht, sich nicht der Prüfung zu stellen?«
»Wen?«
»Ehe sie sich in Kritanu verliebte, der nur ein junger Mann war, der sie im Kämpfen ausbilden sollte, liebte Eustacia einen Mann namens Daclid, der meinte, er könnte die vis bulla tragen. Er stellte sich der Prüfung, scheiterte aber wie viele andere im Laufe der letzten Jahrhunderte.«
Er schenkte ihr keinen Trost. Seine Miene blieb verschlossen und streng. »Es gibt keine Garantie, dass ich die Prüfung bestehe; auch wenn ich mich ihr bereits das zweite Mal stelle.«
Victoria versuchte, ihre Gedanken zu sammeln, die bei diesen Enthüllungen in tausend Richtungen zu flüchten schienen. Das letzte Mal, dass etwas so unerwartet für sie gekommen war, so außerhalb ihres Vorstellungsvermögens, war gewesen, als sie Zeugin der Enthauptung von Eustacia durch eben diesen Mann wurde, der hier vor ihr stand. »Wie kommst du an das Blut, wenn du den Vampir pfählst? Wofür ist es überhaupt?«
»Wir nehmen das Blut vor dem Kampf ab — dafür darf ich mir Hilfe holen, weil es nicht Teil der Prüfung ist«, fügte er hinzu und klang nicht besonders stolz darauf. »Gerade genug Blut, um die vis bulla darin einzutauchen.«
Er stand so dicht vor ihr, dass ihr Saum seine Füße streifte. »Dazu kommt es aber nur, wenn ich es schaffe, den Raum lebend zu verlassen. Dieser Teil der Prüfung geht übrigens auf die Kampfe im Kolosseum zurück. Du weißt schon... die Menschen, die zur Volksbelustigung den Löwen vorgeworfen wurden ... aber sobald es dunkel war, hat man sie stattdessen Vampiren vorgeworfen. Das
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