Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
Dankbarkeit. Und auch eine Warnung.
Die Warnung war unnötig gewesen.
Sogar jetzt wollte Sebastian angesichts der Arroganz des Mannes vor Wut schnauben, doch das Verlangen ließ nach und machte einem Gefühl der Leere Platz. Nachdem Pesaro in die Schar der Venatoren zurückgekehrt war und sein Territorium abgesteckt hatte, würde es eine lange Reise nach Muntii Fagaras werden, um die letzten beide Ringe zu holen.
Mit dem Gedanken verschaffte er sich die Ablenkung, die er brauchte. War Max' Rückkehr in den Kreis der Venatoren ein Segen oder ein Fluch, wenn sie es mit Lilith zu tun bekamen?
»Erzählst du mir, was passiert ist?«, fragte Victoria, während sie hinter Max kniend seine breiten Schultern einseifte.
Das dringend benötigte heiße Bad hatten sie schon vor einer ganzen Weile bestellt, und obwohl er sich mit einem lauten Seufzer im dampfenden Wasser niedergelassen hatte, wurde sie immer noch von dem Bedürfnis beherrscht, ihn anzufassen. Für sie gab es nichts Schöneres, als das Gefühl warmer männlicher Haut, die nass war und nach Zitronen-Rosmarin-Seife duftete.
Er drehte den Kopf, um sie anzusehen. »Du bist noch nicht von selbst darauf gekommen?«
»Offensichtlich hattest du irgendetwas geplant, denn du hast dir mindestens fünfmal die Gelegenheit entgehen lassen, ihn zu pfählen«, erwiderte sie verschmitzt. »Und ich weiß jetzt auch, dass du die Prüfung beenden wolltest, indem du die vis bulla, die du bereits trugst, mit Blut in Berührung brachtest. Aber warum? Du hättest den Vampir doch mit ein oder zwei Stößen erledigen können, statt dabei selber fast umgebracht zu werden.«
Max schnaubte. »Fast umgebracht? Du irrst dich. Es bestand überhaupt keine Gefahr, dass ich von diesem Vampir getötet werden könnte, Victoria. Ich wusste genau, was ich tat. Ich musste dafür sorgen, dass Blut auf die vis kam, den Ring in meiner Haut weiter reinschieben und dann darauf warten, dass meine Kraft zurückkehrt. Es hat nur etwas länger gedauert als erwartet.«
»Nun, es sah so aus, als...«
»Und so etwas kann ja wohl täuschen, nicht wahr? Wo wir gerade davon sprechen: Viogets - äh — sagen wir... zusätzlicher Anreiz, damit ich nicht aufgebe, war völlig unnötig.«
Victoria ließ sich auf die Absätze zurückfallen, sodass ihr ganzer Schoss nass wurde und Wasser ihre Arme herunter in die aufgekrempelten Ärmel des Hemdes lief, das sie wieder angezogen hatte. »Ich hatte eigentlich gehofft, dass du zu abgelenkt sein würdest, um es zu sehen.«
»Aber ich sollte es doch sehen. War das nicht der Sinn und Zweck des Ganzen?«
»Nicht von meiner Seite.«
»Nein, nicht von deiner Seite, aber aus meinem Blickwinkel wirktest du nicht übermäßig verärgert über sein Tun. Ich weiß, warum er es getan hat. Er besaß die Frechheit zu denken, ich brauchte seine Hilfe.«
Bei jedem anderen Mann hätte das nach zur Schau gestellter Tapferkeit geklungen, doch bei Max kam dieser Gedanke gar nicht erst auf.
Ehe sie darauf etwas erwidern konnte, tauchte Max vollständig mit dem Kopf unter Wasser. Dadurch schauten seine Knie und ein großer Teil seiner kräftigen Beine aus dem ovalen Badebottich.
Als er wieder auftauchte, schwappte eine kleine Welle über die Kanten, sodass wieder der Duft von Rosmarin und Zitrone in der Luft hing. Sein Haar lag glatt nach hinten und ließ sein frisch rasiertes Gesicht frei. Nur die Spitzen klebten seitlich und hinten am Hals.
»Ich war wütend auf Sebastian«, sagte sie. »Ich wollte nicht, dass du denkst... nun ja.«
Max drehte sich in der Wanne zu ihr um, sodass wieder Wasser überschwappte. »Ich wusste, dass du drei Tage mit ihm verbracht hast, während ich in der Teynkathedrale war, Victoria. Und er ebenso.«
»Es ist nichts passiert.«
»Natürlich ist nichts passiert.«
»Warum hast du mich dann noch nicht einmal angeguckt, als du zur Prüfung hereinkamst? Und danach? Besonders danach. Du hast so getan, als würde es mich gar nicht geben.«
Max' Blick war eine Mischung aus Mitleid und Befriedigung. »Das hat dich gestört, nicht wahr? Die Wahrheit ist, Victoria, dass ich vor dem Kampf nicht abgelenkt werden durfte. Du solltest das als Erste verstehen. Und danach... nun ja« — er zog in der ihm eigenen arroganten Art die Augenbraue hoch —, »ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis ich dich da hätte, wo ich dich haben will. Es war also nicht nötig, sich nach der Prüfung liebeskrank anzuschmachten oder sich unter Tränen zu umarmen.
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