Das Buch der Verdammnis (German Edition)
her. Ich sah ihn manchmal unauffällig von der Seite an. Ich wollte keine Fragen stellen, nicht jetzt. Wer der Mann mit Namen Hank Lester neben mir war und was sein geheimnisvolles Auftauchen zu bedeuteten hatte, es würde die Zeit kommen, wo es eine Antwort auf diese Fragen gab.
Dann saß Hank Lester in unserer WG-Küche. Er wirkte auf einmal unsicher wie jemand, der aus einer anderen Welt gefallen war und erst deren Regeln und Eigenheiten erkunden musste.
Gonzo hatte noch drei Bier aus dem Kühlschrank geholt, der Fernseher lief, irgendjemand hatte ihn angeschaltet und wir drei saßen am Küchentisch, tranken manchmal von unserem Bier und blickten auf den Bildschirm, auf dem eine alte Folge von Gonzos Lieblingsserie lief: Mary Dunkham, Pathologie und Passion.
"Ich denke, es handelt sich hier um einen Serienkiller", sagte Mary Dunkham gerade mit ernstem Gesicht, während sie einen Fleischfetzen an ihrer Pinzette betrachtete.
"Diese Frau ist ungeheuer klug", sagte Lester. "Und sehr schön."
"Meine Rede", sagte Gonzo. "Mary Dunkham ist einfach der Hammer."
Als die Folge zu Ende war, nahm Lester seinen Rucksack in die Hand und stand auf.
"Ich denke“, sagte er. „Ich sollte mich jetzt zur Ruhe legen."
Gonzo hatte das Bett in unserem Gästezimmer vorbereitet. Anscheinend entsprach es dem hygienischen Standard, den Lester von so einem Zimmer verlangte, denn er äußerte sich sehr wohlwollend über seine Nachtstätte.
Nachdem Lester sich zurückgezogen hatte, saßen Gonzo und ich noch in der Küche. Wir hatten unsere Biere in der Hand und tranken manchmal davon. Die Bilder des Abends liefen durch meinen Kopf wie ein Film auf Schnelldurchlauf. Das Auftauchen von Hank Lester, der Kampf mit Loredo.
Gonzo und ich starrten stumm auf den Tisch. Als würden wir uns davor fürchten, dass sich unsere Blicke treffen könnten. Gonzo brach das Schweigen.
"Wer zum Teufel ist der Kerl?"
"Keine Ahnung“, sagte ich. „Vielleicht irgendwer aus den Fanforen. Irgendeiner, der es nicht ertragen kann, dass es vorbei ist mit Hank Lester. Der einfach durchgedreht ist.“
"Aber ... er ist so echt."
Das war genau der Punkt, der mir keine Ruhe ließ. Es stimmte einfach alles, das Aussehen, die Art, wie er redete, seine Wirkung auf Frauen.
„Hast du gesehen, wie er Loredo fertiggemacht hat“, sagte Gonzo. „Er hat ihm mit dem Finger nur leicht auf die Brust gedrückt. Hat irgendeinen Nerv getroffen, sodass Loredo nicht einen Mucks machen konnte. Ich hab das mal bei Xena, der Kriegerprinzessin, gesehen, die macht das auch.“
Ich nahm einen letzten Schluck von meinem Bier, stand auf und stellte die Flasche in den Bierkasten neben dem Kühlschrank.
„Ich muss auf jeden Fall ins Bett. Ich bin hundemüde.“
„ Glaubst du?“ Gonzo zögerte. „Glaubst du, er ist gefährlich?“
Ich schüttelte den Kopf. „Glaub ich nicht.“
Meine Stimme klang nicht sehr überzeugt.
Im Bett wälzte ich mich hin und her. Es dauerte lange, bis ich in einen unruhigen Schlaf fiel. Kurz vor Morgengrauen erwachte ich. Ich hatte so stark geschwitzt, dass mein Shirt nass war. Ich stand auf, zog es aus und ging ins Bad, um mich mit einem Handtuch abzutrocknen. Ich hatte einen sehr intensiven Traum gehabt, doch ich konnte mich an nichts mehr erinnern.
Als ich zurück in mein Zimmer ging, sah ich einen Schatten hinter der Milchglastür der Küche. Ich öffnete die Tür. Lester saß allein am Tisch und starrte vor sich hin. Vor ihm stand ein volles Glas Milch. Ohne etwas zu sagen, setzte ich mich zu ihm.
Mit keiner Bewegung zeigte er, dass er mich bemerkt hatte. Er wirkte wie eingefroren. Dann blickte er auf einmal auf und sah mich an. In seinen Augen war eine unendliche Traurigkeit.
"Etwas ist anders", sagte er leise.
"Was meinst du damit?"
Er griff in seine Hosentasche und holte einen Kompass heraus. Ein altes, historisches Stück. Auffällig war die blaue Kompassnadel, auf der in chinesischer Schrift ein Spruch eingeritzt war.
Ich hatte diesen Kompass beschrieben. In Folge 23 der Hank Lester Reihe hatte Lester ihn von einem alten Kapitän geschenkt bekommen. Lester hatte den Kapitän vor den holzbeinigen Geisterpiraten gerettet.
Der Kompass war Lesters Glücksbringer. "Dieser Kompass soll dir immer den richtigen Weg zeigen", hatte der Kapitän gesagt.
Doch der Glücksbringer war kaputt. Die Glasscheibe hatte einen Sprung und der Zeiger bewegte sich nicht mehr.
"Ich hab die Richtung verloren", sagte Lester.
Er legte den Kompass vor
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