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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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Wölfe zu bezwingen, so wie sie ihre eigene Natur bezwungen hatten. Sie hielten sich für besser und zivilisierter als ihre Brüder und Schwestern, die auf allen vieren liefen, aber in Wirklichkeit waren sie viel schlimmer. Sie waren unrein, Mutationen, weder Mensch noch Tier. David fragte sich, was in den Loups vor sich gehen mochte, während die beiden Seiten ihres Wesens unablässig um die Herrschaft rangen. In Lerois Augen hatte ein Hauch von Wahnsinn gelegen, dessen war David sicher.
    »Jonathan wird sich ihnen nicht ergeben«, sagte Anna. »Es gibt keine Möglichkeit für sie, in die Burg hineinzukommen. Eigentlich müssten sie aufgeben und verschwinden, aber das tun sie nicht. Worauf warten sie?«
    »Auf eine Gelegenheit«, sagte David. »Vielleicht haben Leroi und seine Loups einen Plan, oder vielleicht hoffen sie darauf, dass der König einen Fehler macht, aber sie können jetzt nicht einfach aufgeben. Sie werden nie wieder eine solche Armee zusammenkriegen, und wenn sie scheitern, werden sie unerbittlich gejagt.«
    Die Tür von Davids Zimmer ging auf, und Duncan, der Hauptmann der Wache, kam herein. Sofort schloss David das Fenster, damit der Hauptmann Anna in ihrem Glas nicht entdeckte.
    »Der König wünscht dich zu sehen«, sagte er.
    David nickte. Obwohl er innerhalb der Burgmauern in Sicherheit und von bewaffneten Männern umgeben war, nahm er den Gürtel mit seinem Schwert vom Bettpfosten und legte ihn an. Das war ihm mittlerweile so zur Gewohnheit geworden, dass er sich ohne das Schwert an seiner Seite nicht richtig angezogen fühlte. Vor allem nach dem Ausflug in das schaurige Versteck des Krummen Mannes war ihm bewusst geworden, wie verwundbar er ohne Waffe war. Außerdem würde der Krumme Mann irgendwann bemerken, dass Anna verschwunden war, und sich auf die Suche nach ihr machen. Es würde nicht lange dauern, bis er begriff, dass David etwas damit zu tun hatte, und der Junge wollte sich nicht ohne sein Schwert dem Zorn des Krummen Mannes aussetzen.
    Der Hauptmann schien nichts dagegen zu haben, im Gegenteil, er forderte David sogar auf, alle seine Sachen mitzunehmen. »Du wirst nicht in dieses Zimmer zurückkehren«, sagte er.
    David musste sich zusammennehmen, um nicht zu dem Fenster zu schauen, hinter dem Anna verborgen war.
    »Warum?«, fragte er.
    »Das wird dir der König sagen«, erwiderte Duncan. »Wir wollten dich vorhin schon holen, aber wir konnten dich nirgends finden.«
    »Ich bin ein wenig umhergegangen«, sagte David.
    »Du solltest doch auf deinem Zimmer bleiben.«
    »Ich habe die Wölfe gehört und wollte wissen, was los ist. Aber überall liefen Leute herum, und da bin ich wieder hierher zurückgekommen.«
    »Du brauchst keine Angst vor ihnen zu haben«, sagte der Hauptmann. »Diese Mauern sind noch nie eingenommen worden, und was eine Armee von Soldaten nicht geschafft hat, wird auch kein Haufen Tiere schaffen. Und jetzt komm. Der König wartet.«
    David packte seine Tasche, tat die Kleider hinein, die er in der Kammer des Krummen Mannes gefunden hatte, und folgte dem Hauptmann hinunter in den Thronsaal. Beim Hinausgehen warf er noch einen letzten Blick zum Fenster. Ihm war, als könne er durch die Scheibe noch Annas schwach glimmendes Licht erkennen.
     
     
    Im Wald schoss hinter den Reihen der Wölfe eine Schneefontäne in die Luft, gefolgt von Gras- und Erdklumpen. Ein Loch tat sich auf, und der Krumme Mann sprang heraus. Er hatte einen seiner gekrümmten Dolche in der Hand, denn dies war ein gefährliches Unterfangen. Mit den Wölfen konnte er keinen Handel schließen. Ihre Anführer, die Loups, wussten um die Macht des Krummen Mannes und trauten ihm ebenso wenig wie er ihnen. Außerdem hatte er zu viele von ihnen getötet, als dass sie bereit wären, ihm zu vergeben oder ihn auch nur lange genug am Leben zu lassen, um Gnade zu erflehen, falls einer der Wolftrupps ihn erwischte. Lautlos schlich er zwischen den Bäumen hindurch, bis er mehrere Gestalten vor sich erblickte, alle in Uniformen gekleidet, die sie von toten Soldaten erbeutet hatten. Einige rauchten Pfeife, während sie um einen Grundriss der Burg herumstanden, der in den Schnee gemalt war, und überlegten, wie sie sich Zugang verschaffen konnten. Sie hatten bereits Kundschafter ausgesandt, um die Mauern nach Rissen oder unbewachten Schlupflöchern abzusuchen. Die grauen Wölfe waren als Ablenkungsmanöver eingesetzt worden und hatten im Pfeilhagel der Verteidiger den Tod gefunden. Die weißen Wölfe waren besser

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